Das erklärt alles! Gedanken zum Tag der Schöpfung

Gott als Schöpfer der Welt ist eine zentrale Vorstellung.

Die Rede von der Schöpfung fristet im kirchlichen Alltag ein ambivalentes Dasein. Auf der einen Seite ist sie außerordentlich zentral. Das apostolische Glaubensbekenntnis nennt im ersten Artikel „den Schöpfer des Himmels  und der Erde“. Immer dann, wenn von Gott als dem „Allmächtigen“ gesprochen wird, ist auch das Schöpfungshandeln angesprochen. Was kann denn besser die Allmacht zum Ausdruck bringen, als die Tatsache, dass Gott alles geschaffen hat, was ist? Im Vaterunser heißt es: „Denn Dein ist die Macht.“ Schließlich findet auch im kirchlichen Alltag die Schöpfung immer dann Erwähnung, wenn es um umweltpolitische Fragen geht: Die „Schöpfung bewahren“ ist ein eingängiger Slogan, der es weit über die kirchlichen Kreise hinaus in die allgemeine gesellschaftliche Debatte geschafft hat. „Wir müssen die Schöpfung bewahren und dürfen die Erde nicht zerstöre!“ ist eine Aussage, auf die sich auch viele verständigen können, die sonst nicht dazu neigen, an Gott zu glauben.

Die Vorstellung von der Schöpfung ist heute aber sehr blass.

All dies steht aber in einer eigentümlichen Diskrepanz zu einer gewissen Verzagtheit, wenn es darum geht, einmal genauer zu sagen, was denn mit Schöpfung gemeint ist. Gott hat die Welt geschaffen – was meint das? Die Welt ist das große Ganze. Die Physiker nennen es auch das Universum. Was meint dann die Aussage, Gott habe das Universum geschaffen, genau, wie kann man sich das vorstellen? In der Tradition wurde dann stets auf die erste Schöpfungserzählung verwiesen, denn hier wird der Schöpfungsvorgang detailliert und in einzelne Schritte gegliedert vorgestellt  – Gott hat die Welt in sieben Tagen geschaffen. Doch diese Erzählung steht derart quer zu allen heute geteilten Überzeugungen von der Entstehung des Universums. Die so genannte „Urknall-Theorie“ ist die allgemein akzeptierte kosmologische Theorie. Deren Vorstellungen stimmen mit den biblischen Erzählungen von der Schöpfung in keinem Punkt überein.  Man muss sich also fragen, was der Sinn der Erzählung aus heutiger Sicht ist.

Strategien im Umgang mit der modernen Kosmologie

Eine beliebte Strategie ist es, die Schöpfungserzählung historisch zu relativieren, immerhin entstand sie etwa 500 Jahre vor Christi Geburt. Doch hilft das hier nicht weiter, denn es ist ja die Frage, was wir heute unter Schöpfung verstehen. Nun gibt es solche, die sagen, genau das, was die Physik lehrt, sei Gottes Schöpfung und eigentlich meine die Bibel genau den Vorgang, den wir physikalische beschreiben können!  Doch dann ist der Einwand nicht so ganz abwegig, dass die Physik auch ohne die Rede von Gott ganz gut auskommt und dass die Rede von Gott dem auch nichts Neues hinzufügt. Warum dann nicht gleich vom Urknall reden, statt von einer Schöpfung? Das gilt im Übrigen auch für den Versuch, die Schöpfung Gottes im Urknall selbst zu verankern. Diese Erklärung gilt im Übrigen nur so lange, wie die Theorie vom Urknall gibt. Was aber, wenn dereinst kosmologische Theorien sich wieder wandeln und das Urknall-Modell verworfen wird? Dann muss man andere Orte suchen, wo man Gottes Schöpfung unterbringen kann. Es ist ziemlich deutlich, dass sich hier die theologische Rede von der Schöpfung unter Wert verkauft, sie wird ein Anhängsel an die jeweils geltenden physikalischen Theorie ohne eigenen Deutungsanspruch. Zudem will die moderne kosmologische Erklärung mit der Erzählung von den 7 Tagen nicht zusammen passen.

Die Wirklichkeit ist nur für endlicher leibliche Wesen als Schöpfung erfahrbar

Mein Vorschlag ist, von all diesen Spekulationen zu lassen. Steht bei der theologischen Rede von der Schöpfung  wirklich eine Theorie über das Ganze des Universums im Mittelpunkt? Gäbe es nicht die erste Schöpfungserzählung auf der ersten Seite der Bibel, würde niemand bei den vielen anderen Stellen in der Bibel an eine geschlossene Theorie denken und meinen, der Glaube an Gott hänge von einer bestimmten Sichtweise der Entstehung des Universums ab. Den entscheidenden Punkt der biblischen Rede von der Schöpfung hat Martin Luther erkannt, lange bevor es eigenständige physikalische Theorien über den Kosmos gab.  Luther war klar: Was auch immer Schöpfung im christlichen Sinne meint, wir werden den Begriff nur dann verstehen, wenn wir nicht in die weite Welt hinaus schauen, sondern auch auf uns selbst schauen und die Art und Weise, wie wir in der Welt leben.

Menschen sind endliche und verletzliche Wesen.

Martin Luther hat den Artikel des Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus strikt auf unsere endliche leibliche Existenz bezogen:

„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Was ist das? Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was nottut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohne all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewisslich wahr.“

Es ist so leicht, sich deutlich zu machen, wie verletzlich und bedürftig wir sind, wie abhängig von unserer Umwelt wir sind. Was geschieht, wenn wir einmal eine Minute nicht atmen, zwei Tage nicht trinken oder fünf Tage nichts essen? Schöpfung heißt also, dass wir als lebende Wesen auf eine lebensfreundliche Umwelt angewiesen sind, ganz unabhängig von einer physikalischen Beschreibung des Kosmos. Was die Rede von der Schöpfung meint, erleben wir, wenn wir auf die Abhängigkeit von unserer Umgebung und die Abhängigkeit von anderen Menschen schauen.

Vom Kleinen zum Großen

Wenn man also im christlichen Sinne von der Schöpfung redet, dann redet man nicht von einer wie auch immer gearteten Erklärung der Welt, sondern von unserer Bedürftigkeit und der Dankbarkeit für die Grundlagen des eigenen Lebens. So kann man die Bedeutung von Schöpfung auch in Zeiten moderner kosmologischer Theorien verstehen lernen. Es wird auch deutlich, welche Botschaft in dem Slogan „Schöpfung bewahren“ steckt. Der Slogan zeigt, dass wir mit allem Leben auf Bedingungen angewiesen sind, die wir nicht ungestraft zerstören dürfen.

Ein Letztes bleibt: Die Welt kann nur am eigenen Leib als Schöpfung erkannt werden. Aber darüber hinaus gibt es noch eine zweite Komponente der biblischen Rede von der Schöpfung und die weist über die eigene Existenz hinaus. Was auch immer uns in dieser Welt begegnen mag – alles kann auf die Schöpfung Gottes zurückgeführt werden. Anders ausgedrückt: Die Welt mit allem in ihr ist nur deshalb die Welt, weil sie von Gott geschaffen ist. Hier erst, in dieser  Ausweitung der eigenen Erfahrung, mit allen Dingen in der Welt macht die Rede von Gott als dem Schöpfer der ganzen Welt Sinn.

Autor: Frank Vogelsang

Ingenieur und Theologe, Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland, Themenschwerpunkt: Naturwissenschaften und Theologie

2 Kommentare zu „Das erklärt alles! Gedanken zum Tag der Schöpfung“

  1. Schöpfung ist, da stimme ich dem Autor zu, ein Topos, mit dem die religiöse Rede zu punkten versucht. Die seelsorgerliche Zuspitzung Luthers im Katechismus ist überzeitlich wertvoll und erdet den Menschen.
    Aber da ist noch mehr. Leicht wird übersehen, dass die biblische Genesis (Kap. 1 -11) einen theologischen Entwurf vorlegt, der der eigentlichen Heilsgeschichte Gottes mit Israel und der Welt vorgeschaltet wird. Es geht um eine Kampfansage an das babylonische Welt- , Menschen- und Götterverständnis.
    Die Trennung von Göttlichem und Menschlichen wird radikal durchgeführt und so wird dem Menschen jene Freiheit möglich, die ihn als „Bild Gottes“ in der Welt agieren lässt.
    Die Bibel benennt aber auch die dunkle Seite dieser Wirklichkeit, die Gefallenheit. Schöpfung wird erst dann verstanden, wenn die Neuschöpfung in Christus am Ende der Zeit mitgedacht wird: Genesis 1/2 und Offenbarung 21 gehören zusammen.
    Und dann ist da noch das Dauerthema „Bewahrung der Schöpfung“. Obwohl gern verwendet, wird übersehen, dass hier ein Missverständnis vorliegt. Menschen sollen die Welt, in und von der sie leben, nicht zerstören, das wäre eine sinnvolle Interpretation. Aber es bedarf eines wichtigen Zusatzes: Es gelingt nicht, was so naheliegend und einfach scheint. Menschen können weder ihre kleine noch die grosse Welt retten, oder bewahren vor dem, was geschehen wird oder muss. Es geht hier nicht um Fatalismus und Passivität dem Leben gegenüber, ganz im Gegenteil. Es geht um die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf. Genesis 2 begnügte sich ja bekanntlich damit, dass Menschen den „Garten bebauen und bewahren“, nicht aber für den Prozess des Werdens und Vergehens (creatio continua) verantwortlich sind, der wird Gott zugewiesen.

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    1. Ich kann Ihnen in beiden Punkten zustimmen! In der Tat ist es wichtig, die Rede von der Schöpfung im Rahmen der Urgeschichte theologisch zu deuten und da ist mir auch die These von von Rad, dass die Urgeschichte eine vorgeschaltete Geschichte ist, sehr hilfreich. Ich halte überhaupt die Geschichte für das theologisch absolut unterbestimmte Thema, meiner Ansicht nach eine Folge des starken Einflusses der liberalen Theologie. Die liberale Theologie hat ihre Stärken, aber auch ihre Schwächen… Auch im zweiten Punkt kann ich Ihnen zustimmen: Eigentlich ist die Rede von der Bewahrung der Schöfung mißbräuchlich. Und doch ist sie sehr bildhaft und wirksam. Es wäre viel gewonnen, wenn Theologinnen und Theologen eine Reihe weiterer so kräftiger Sprachbilder entwickeln könnten, um von Gott zu reden und die Relevanz dieser Rede für die Gegenwart deutlich zu machen!

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