Wann ändern wir unser Verhalten wegen der Klimakrise?

Es ist schon komisch: Auf der einen Seite sind viele Menschen für die Problem der Klimakrise ansprechbar. Die Umfragen zeigen in dieser Wahlkampfzeit, wie wichtig das Thema sehr vielen Menschen ist. Unter den Sorgen und Nöten rangiert es auf Platz 1 vor Wirtschaftskrise oder Terrorismus oder anderen Gefahren. Besonders erstaunlich ist der Befund, weil die Umfragen auch im Frühjahr schon dieses Ergebnis hatten, einem Frühjahr, das bis zum Juni das Wetter doch eher kühl und nass war. Es handelt sich also hierbei keine kurzfristige Reaktion auf aktuelle Entwicklungen und Wetterphänomene. Lesson learned, könnte man sagen, es ist den Menschen klar, welche Belastungen auf die Welt zukommen.

Die energieintensive Normalität

Und doch gibt es da den ganz anderen Befund: Nach der Corona Krise strebt alles wieder zurück zur alten Normalität. Die Flüge an die südlichen Urlaubsorte sind schnell ausgebucht. Die Kreuzfahrtschiffe fahren wieder. Die Automobilkonzerne melden sehr schnell ansteigende Verkaufszahlen. Ja, unter diesen Autos sind auch solche mit Elektroantrieben, doch ist der Verkaufsanteil immer noch gering. Es gibt keine Abkehr von den SUVs. Um einen Eindruck zu gewinnen, reicht es, die vielfältigen Anzeigen der Automobilkonzerne zu beobachten: Größe, Schwere, Stärke überwiegen, gerne dann auch mit einem E-Antrieb.

Ein Blick zurück: Klimadiskussionen in den letzten 30 Jahren

Auf einen zweiten Blick ist das alles andere als überraschend. Denn das ist genau das, was nach 30 Jahren gesellschaftsweiter Klimadiskussion seit der Rio Konferenz 1992 zu erwarten ist. Denn was ist in dieser Zeit geschehen? In einer Hinsicht sehr viel. Das Thema hat die Schlagzeilen seitdem nicht wieder verlassen. Es haben sich viele zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppierungen gebildet, die immer wieder Initiativen zu dem großen Thema des Klimawandels in die öffentliche Diskussion einbringen.

Nachdem 1998 die Regierung von einem rot-grünen Bündnis gestellt wurde, sind etliche Gesetze erlassen worden, die regenerative Energien förderten und den Verbrauch von CO2 reduzierten, allem voran das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Auch von der europäischen Ebene kamen etliche Initiativen, etwa die Auszeichnung energiesparender Haushalttechnologien, wie etwa der Abkehr von der klassischen Glühbirne. Nicht zu vergessen sind die zahlreichen Verbesserungen beim Bau neuer Häuser, die nun deutlich bessere Dämmwerte hatten als alte Häuser. Dieser Liste lässt sich leicht noch vieles hinzufügen. Es hat sich also etwas getan, der in Deutschland produzierte Strom kam 2020 zu 50 % aus regenerativen Quellen (allerdings macht der Strommarkt etwa 20 % des Endenergieverbrauchs aus).

Unser Energie-Hunger bleibt konstant

Und nun zu der großen Schattenseite der Entwicklung. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Das Verhalten der Menschen hat sich nicht geändert. Im Gegenteil, die Effizienzgewinne durch bessere Technologien sind aufgehoben worden durch kontraproduktive Entwicklungen im Verhalten. Es ist genau die Zeitspanne der letzten 30 Jahre, dass die neue schwere und große Automobilform populär wurde, das SUV. Es ist ebenso diese Zeitspanne, in der die Zahl der Flugreisen massiv zugenommen hat. Der Endenergieverbrauch in Deutschland liegt seit vielen Jahren relativ konstant bei 2500 TWh.

Um einem naheliegenden Einwand aufzunehmen:  Natürlich haben sich in der Zeit viele Menschen auch in ihrem Verhalten angepasst, fahren mehr Fahrrad, nutzen öffentliche Verkehrsmittel, ernähren sich vegan, nutzen selten das Flugzeug, verzichten auf ein Automobil oder nutzen Car-Sharing, kaufen biologische und ökologische Produkte, konsumieren verpackungsfrei, haben die Häuser gedämmt und Wärmepumpen sowie Solaranlagen installiert. Natürlich gibt es viele, die seit langer Zeit für deutliche Verhaltensänderungen kämpfen. Jedoch, und das ist die Bilanz heute: Diese Bewegungen haben bislang keine gesellschaftsweite Resonanz ausgelöst. Es gab und gibt sie parallel zu den anderen, oben genannten Entwicklungen. Wären sie erfolgreicher gewesen, wäre der Endenergieverbrauch der ganzen Gesellschaft gesunken. Der blieb aber stabil.

Wann ändern wir in der Breite der Gesellschaft unser Verhalten?

Hier ist auch die Achillesferse vieler Klimadiskussionen: Schaut man in die Studien, die den Wandel zu einer nachhaltigen und CO2 neutralen Welt analysieren, fällt die kulturelle Seite, die Frage der Verhaltensänderung fast komplett aus oder ist in verschwiegenen Annahmen versteckt. (wenn etwa eine geringere Energie für die Mobilität angesetzt wird, weil die Autoren unausgesprochen annehmen, dass sie im Umfang abnimmt).

Das, was wir vor uns haben, ist ein fast vollständiger Wechsel der Energiegrundlage einer komplexen Gesellschaft. Das Vorhaben ist aber viel zu groß, als dass es denkbar wäre, das ließe sich durch technische Lösungen in wenigen Jahrzehnten erzielen, ohne dass wir unsere Lebensweise anpassen müssten.

Uwe Schneidewind hat in seinem Buch „Die große Transformation“ das Problem offen angesprochen. Es geht immer auch um einen kulturellen Wandel, wenn wir eine CO2 neutrale Gesellschaft anstreben. Die Resonanz darauf ist bislang überschaubar. Nach 30 Jahren gesellschaftlicher Klimadiskussion muss leider das Fazit lauten: Die Diskussion in relevanten und zentralen kulturellen Fragen hat gerade erst begonnen.

Kann Wissen gefährlich sein für die Demokratie?

Dieser Frage geht der Soziologe Alexander Bogner in einem schmalen Reklam Bändchen „Die Epistemisierung des Politischen“ nach (Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Stuttgart 2021) Bogner beschreibt aktuelle wissenschaftliche Interventionen in politische Debatten, die allen vor Augen sind: EpidemiologInnen und VirologInnen in der Corona Krise, MeteorologInnen, OzeanographInnen, PhysikerInnen in der Klimaforschung. Für ein angemessenes Handeln in einer Krise ist wissenschaftliches Wissen unumgänglich, das betont auch Bogner. Zugleich ist er aber in keiner Weise glücklich mit dem großen Einfluss wissenschaftlicher Expertise, wenn sie den politischen Entscheidungsprozess überflüssig zu machen scheint, getreu dem Motto: There is no alternative.

Der Positivismus Streit

Bogner erinnert dabei auch an die alte Szientismus Debatte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, den so genannten Positivismus Streit. Damals war es geradezu ein Kennzeichen progressiver Positionen, wissenschaftskritisch zu sein. Denn die Wissenschaft, die unter das Label „Positivismus“ gefasst wurde, so der Vorwurf, produziert ein opakes Weltbild, das keine Alternativen kennt.  Wer jedoch für gesellschaftliche Alternativen eintritt, muss die Fixierung auf Empirie und Fakten durchbrechen. Eine Gesellschaft von morgen ist möglich, wenn man auch andere Quellen als die empirischen Wissenschaften hinzuzieht. Die Protagonisten auf der gesellschaftskritischen Seite waren etwa Adorno und Habermas, aufseiten der Wissenschaftsverfechter Karl Popper und Hans Albert. Ein Widerschein dieser Debatten zeigte sich auch in den späteren Schriften von Habermas, etwa, wenn er von der „Kolonialisierung der Lebenswelt“ durch die gesellschaftlichen Systeme sprach, zu denen auch die Wissenschaften gehören.

Aber: Vorsicht vor den Aufklärungsgegnern

Doch heute ist es nicht mehr so ganz einfach, mit diesem Problem umzugehen, das ist auch Bogner klar. Denn wissenschaftliche Expertise in aktuellen Debatten abzulehnen, würde bedeuten, Tür und Tor allen möglichen Phantasten zu öffnen, heißen sie nun Corona Leugner, Klimaleugner, Impfgegner oder Verschwörungstheoretiker. Bogner hebt auch deutlich hervor, dass es in diesem Ringen um wissenschaftliche Expertise auch organisierte Gegenaufklärer gibt, wie das Cato Institute in den USA oder das Medienimperium von Robert Murdoch. Wer alle scheinbaren „Wahrheiten“ zulässt, landet im „epistemischen Tribalismus“ (118)

Fact-fake Unterscheidungen sind eingängig, aber zu simpel

Und doch ist es das Verdienst von Bogner, einmal mit Nachdruck auf die Problematik von wissenschaftlich abgesichertem Wissen in politischen Debatten einzugehen und nicht voreilig sie allein den Wissenschaftsgegnern in die Schuhe zu schieben. So fragt er provokativ in Hinsicht auf eine aktuelle Expertenhörigkeit: „Diese neue Variante des Szientismus ist, und das kann man nicht nachdrücklich genug betonen, demokratiepolitisch gesehen wahrscheinlich bedenklicher als das leicht durchschaubare Spiel mit Fake News und Twitter Lügen im politischen Alltag.“ (S. 121)

Gibt es sie, DIE Wissenschaft?

Ein klares Plädoyer dafür, diese allzu leichte Unterscheidung von Fake und Facts nicht mitzumachen. Denn die so genannten Facts sind nicht so harmlos, wie es der aktuelle Zeitgeist gerne glauben machen möchte. Zunächst: Die einfache Unterscheidung legt nah, dass es DIE Facts gäbe, DIE Position DER Wissenschaft. Das ist natürlich ein hoch reduktionistisches Wissenschaftsbild. Wissenschaft gleicht eher einer offenen, kollektiven Suche mit der ständigen Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen. Doch andererseits gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die man nicht in Frage stellen sollte. Wer die Erdanziehung leugnet und aus dem Fenster springt, wird schnell auf dem „Boden der Tatsachen“ landen. Es gibt also Tatsachen, aber im politischen Raum müssen sie immer auch noch gedeutet und bewertet werden (etwa die Verordnung, vor alle Fenster Auffangnetze zu spannen). Die Abkürzung, unmittelbar von „Fakten“ auf politische Maßnahmen zu schließen, darf eine der Aufklärung verpflichtete Politik nicht gehen.

Künftige Klimadebatten brauchen beides: die Unterscheidung und die wechselseitige Bezugnahme von Wissenschaft und Politik

Das Büchlein von Bogner ist gerade vor den jetzt anstehenden Klimadebatten – in der neuen Legislaturperiode wird „plötzlich“ die Frage auftreten, wie nun die 65 % CO2 Reduktion in den kommenden 8 Jahren erreicht werden soll. Manche Maßnahme wird dann mit der Stimme DER Wissenschaft begründet werden. Doch kann man aus den wissenschaftlichen Befunden keine politischen Maßnahmen ableiten. Das muss immer noch die Politik – vor den Wählerinnen und Wählern – selbst verantworten. Die Wissenschaft darf in der Politik nicht ignoriert werden, sie darf aber auch nicht zur alleinigen Legitimationsbasis werden.

Klimawandel: Aufregung wegen 16 Cent, ernsthaft?

Die gesellschaftliche Debatte um eine künftige Klimapolitik nimmt immer fragwürdigere Formen an. Es zeichnet sich eine schon länger existierende, hoch problematische Parallelentwicklung des öffentlichen Bewusstseins ab.

Der Ernst der Lage

Da ist zum einen die Rede von der drohenden Katastrophe wegen einer irreversiblen Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur der Erdatmosphäre mit all denen damit einhergehenden negativen Folgen für Umwelt, Tiere, Menschen. Spätestens mit dem Auftreten von Greta Thunberg gibt es eine breite öffentliche Unterstützung der Warnungen vor einer Klimakatastrophe. „I want you to panic“ – dieser Slogan von Greta Thunberg hat viele Menschen erreicht und bewegt. Seit 2019 ist in schneller Folge Unerhörtes geschehen. Die großen Automobilkonzerne vollziehen einen scharfen Schwenk in Richtung E-Mobility. Die Bundesregierung verabschiedet ein Klimaschutzgesetz, dessen mittelfristiges Ziel von 55% CO2 Reduktion bis 2030 in diesem Jahr noch einmal deutlich verschärft wird auf 65%. Die Europäische Union fordert ebenfalls EU-weit eine Reduktion von 55% CO2 bis 2030. Das Bundesverfassungsgericht rügt dennoch die bisherigen Pläne, weil sie nicht konkret genug seien und künftigen Generationen zu viel Lasten übertragen und somit ihre Freiheit beschneiden. Weitere Gerichtsurteile wie das in den Niederlanden folgten. All dies zusammen sind weitreichende Entscheidungen, die die künftige Politik erheblich unter Zugzwang setzen. Und doch finden diese Entscheidungen eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Diese Zustimmung geht weit über das Potenzial der Wählerinnen und Wähler der Grünen hinaus. Auch sind künftige Bundesregierungen durch die Vorgaben gebunden, unabhängig davon, welche Parteien regieren.

Weitreichende Maßnahmen sind notwendig

Einige Studien sind in letzter Zeit der Öffentlichkeit vorgestellt worden, die Skizzen für eine künftige Klimapolitik entwerfen, etwa die Agora- Studie Klimaneutrales Deutschland 2045 oder die Studien der internationalen Energieagentur NetZero by 2050. Diese Studien zeigen deutlich, dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Ziele zu erreichen. Für Deutschland bedeuten die bisherigen Beschlüsse, dass die Höhe der CO2 Einsparungen von 1990 bis 2019 in gleicher Höhe bis 2030 erreicht werden soll. Das bedeutet eine Verdreifachung (!) der Geschwindigkeit der Einsparungen. Wenn man bedenkt, das in den ersten Jahren die Einsparungen recht einfach waren, weil alte Industrieanlagen der DDR geschlossen oder modernisiert wurden und leichte Effizienzsteigerungen längst durchgeführt worden sind, dann kann man ermessen, welche Aufgabe in den nächsten 10 Jahren bewältigt werden muss.

Aber kann der Alltag nicht einfach weiter gehen?

Bislang ist das gesellschaftliche und alltägliche Leben von den Einsparungen kaum tangiert worden. Im Gegenteil: Die Flüge wurden zahlreicher, die Autos schwerer. Die Reduktionen erfolgten meist technischer Art. Die Effizienz der Energieproduktion und der -nutzung wurde verbessert, alte Technologien wurden ausgemustert, die Erschließung erneuerbarer Energien wurde ausgebaut. Auf diesem Weg werden wir weitergehen müssen. Doch es wird bei weitem nicht reichen, allein auf technische Lösungen zu setzen.

Dieser Widerspruch ist politischer Sprengstoff – die 16 Cent als Beispiel

Und hier kommt ein eklatantes politisches Problem ins Spiel. Denn so sehr es eine große allgemeine Unterstützung der Klimaziele gibt, so wenig ist die Bereitschaft ausgeprägt, auch die eigenen Erwartungen und Formen des Lebenswandels auf den Prüfstand zu stellen. Irritierend ist zu beobachten, dass aktuell schon kleinere Veränderungen große Empörungswellen schlagen. 16 Cent mehr für den Liter Benzin? Das ist sogar noch innerhalb der Marktpreis-Schwankungen der letzten Jahre! Und doch die Empörung. Es geht mir hier, um es deutlich zu sagen, nicht um die Frage des sozialen Ausgleichs. Der muss sein, Veränderungen allein zu Lasten der ärmeren Bevölkerung und die Möglichkeit reicher Menschen, sich von denen Einschränkungen freizukaufen, wäre unerträglich. Und doch müssen sich wohl alle in ihren Erwartungen und in ihrem Verhalten ändern, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Da sind nach Lage der Dinge, erhebliche politische Konflikte vorprogrammiert.

Kurz: Alles soll so weitergehen wie bisher, nur mit wenigen CO2 Ausstoß! Das aber wird nicht funktionieren. Es ist wichtig, sich noch einmal die Größe des Vorhabens vor Augen zu führen: Energie ist die Existenzgrundlage jeder menschlichen Gesellschaft. Vor 200 Jahren begann das fossile Zeitalter mit all den Folgen, die wir jetzt erahnen. 10000 Jahre vorher in den agrarischen Kulturen ist in Sachen Energiequellen nichts wesentlich Neues geschehen. Die Technologien des fossilen Zeitalters verstärkten etwa auch die Individualisierung, von der hier im Blog viel die Rede ist. Es ist naheliegend, dass in einer postfossilen Welt Formen sozialer und ökologischer Verbundenheit stärker in den Mittelpunkt rücken. Aber dazu gibt es allerhöchstens kleinere Versuche und Ansätze.

Das fossile Zeitalter soll nun in kürzester Zeit, in wenigen Jahren beendet werden und alles soll so weiterlaufen wie bisher? Die künftige Politik hat sich mit den Klimazielen physikalische Grenzen auferlegt. Diese lassen sich nicht allein mit einer richtigen Gesinnung erreichen. Die Folgen werden uns alle betreffen.