Soziale Verbundenheit

In der gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatten erscheinen Menschen oft als flexible Individuen, die miteinander durch abstrakte soziale Systeme wie etwa dem Wirtschaftssystem in Beziehung stehen. Dadurch wird die soziale Verbundenheit stark unterschätzt. Soziale Verbundenheit ist eine Grunddimension menschlicher Existenz, die durch seine Leiblichkeit vorgegeben ist. Unweigerlich, von Beginn des Lebens an sind Menschen aufeinander angewiesen und mit ihrer Umwelt im ständigen Austausch.

Tiefgreifende Veränderungen und Krisen lassen schnell den Ruf nach Solidarität und Gemeinschaft laut werden. Das gilt insbesondere für die Klimakrise, die nur durch komplexe gesellschaftliche und kulturelle Transformationsprozesse bewältigt werden kann. Um dieser Herausforderung genügen zu können, braucht es aber nicht kurzfristige Aktionen, sondern langfristige und verlässliche gesellschaftliche und kulturelle Antworten. Es braucht angesichts der notwendigen Veränderungen viel wechselseitiges Vertrauen in den gemeinsam zu gestaltenden Weg.

Stabile Formen sozialer Verbundenheit erodieren aber in den letzten Jahrzehnten, vor allem die klassischen Formen wie Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Neue formieren sich erst in Ansätzen: Digital unterstützte Netzwerke, kommunale Strukturen, solidarische Versorgungssysteme in der Landwirtschaft. Hier ist ein großer Entwicklungsbereich für die kommenden Jahre.

Tatsächlich ist es unter den Vorgaben der spätmodernen Gesellschaft außerordentlich schwierig, gesellschaftsprägende und stabile Formen von Solidarität und Gemeinschaft zu entwickeln. Dem steht die gegenwärtig herrschende Anschauung, der neoliberale hegemoniale Diskurs, entgegen, der die Gesellschaft auf die Belange von Individuen oder von gesellschaftlichen Systemen reduziert. Vertrauen ist dann eher ein Vertrauen in Systeme, allem voran den von Notenbanken gestützten wirtschaftlichen System.

Die Analyse der gegenwärtigen Situation, die Folgerungen aus der grundlegenden sozialen Verbundenheit und die Optionen für eine soziale Zukunft jenseits einer hochindividualisierten Gesellschaft bietet das folgende Buch:

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Soziale Verbundenheit. Das Ringen um Solidarität und Gemeinschaft in der Spätmoderne, Freiburg München 2020.

Inhaltsverzeichnis und Einleitung „Soziale Verbundenheit“

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Am 8. Mai 2020 sind einige Thesen des Buches in der Sendung „Philosophisches Radio“ auf WDR 5 vorgestellt worden.

Am 30. August 2020 hat Deutschlandfunk Nova in der Sendung „Hörsaal“ einen einführenden Vortrag zu dem Buch ausgestrahlt unter dem Titel „Es fehlt an Solidarität. Applaus allein genügt nicht“. Hier der Link zum Podcast.

Am 2. Juni 2021 ist von dem Sender ERF in der Reihe „Glauben und Denken“ ein einstündiges Interview zum Buch ausgestrahlt worden. Hier der Link zur Sendung.

Rezensionen zum Buch:

Gerhard Wegner in Theologische Literaturzeitung H.12, 145 Jg., Dezember 2020, Sp. 1248 -1250. Hier zum Artikel

„Frank Vogelsang behandelt in seinem klar aufgebauten und hervorragend geschriebenen Buch eines der ganz entscheidenden Themen heutiger gesellschaftlicher Entwicklung: die Frage nach der weiteren Entwicklung der sozialen Verbundenheit (…) Vogelsang sucht nach intensiv nach Lösungsmöglichkeiten dieser Krise des sozialen Zusammenhalts, ohne dabei jedoch auf regressiv-repressive ‚Angebote‘ hereinzufallen.“

Frank Decker in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 19. Januar 2021. Hier zum Artikel

„Den soziologischen Deutungen, die dem Individualisierungsparadigma verhaftet bleiben, setzt Vogelsang ein radikales Verständnis von Verbundenheit entgegen, das von der Leiblichkeit des Menschen ausgeht. (…) Der Autor konzentriert sich eher auf das, was dieser (scil. der Staat) – frei nach Böckenförde – selbst nicht aus eigener Kraft erzeugen kann oder – frei nach Marx – als Gesellschaft vorfindet.“

Eckhard Freyer in buchvorstellungen.blogspot.com Hier zum Artikel

„Diese gute Neuerscheinung ist ein lesenswertes und weitsichtiges Werk.“

Rezension in „Information Philosophie“ 49. Jg, H. 3/2021, S. 66-70.

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Das Buch zeichnet zunächst die Entwicklung zu der gegenwärtigen Gesellschaft nach. Der heute hegemoniale Diskurs der Spätmoderne steht am Ende einer langen Entwicklung europäischer Gesellschaften. Diese Entwicklung hat große Errungenschaften mit sich gebracht, die zentrale Bedeutung von Werten wie Autonomie und Universalität, aber sie hat auch die gesellschaftlichen Formen der Verbundenheit, die für langfristige Entwicklungen stehen, geschwächt. Dies gilt besonders für die letzten 50 Jahre, die durch ein hochdynamisches und weltweit verteiltes Wirtschaftssystem (neoliberale Globalisierung) und durch eine damit korrespondierende Betonung der Perspektiven flexibler einzelner Menschen bestimmt sind. Die europäischen Gesellschaften haben in den letzten Jahrzehnten nachgeholt, was Robert Putnam schon 2000 für die US amerikanische Gesellschaft diagnostiziet hat: Ein kontinuierlicher Rückgang von längerfristigen Formen der Verbundenheit.

In den letzten 200 Jahren haben sich unterschiedliche Vorstellungen von Solidarität und Gemeinschaft entwickelt: Die konservative Vorstellung von Gemeinschaft setzt andere Akzente wie die progressive Vorstellung von Solidarität oder die bürgerliche Form von Vereinen oder Unternehmen. Eine davon eigenständige Bedeutung kommen religiöse Gemeinschaften zu, der christlichen Vorstellung von Gemeinde.

Ein Blick zurück wird nicht genügen, um die weitere Entwicklung beschreiben zu können. Wie werden sich die Formen der Verbundenheit in der Zukunft gestalten? Die digitalen Medien werden eine wichtige, aber keine alles bestimmende Bedeutung für diese Formen haben. Im Buch werden zuletzt hybride Netzwerke diskutiert, die ebenso durch digitale Medien vermittelt sind wie durch lokale Verortung.