(3) Hoffnung – eine christliche Perspektive auf die Welt

Die letzten Beiträge dieses Blogs kreisten um die Frage, in welchem Verhältnis die Hoffnung zu unserem Wissen über die Welt steht. Offenkundig ist unser Wissen über die Welt, vor allem über die geschichtliche Entwicklung der Welt begrenzt. Hoffnung wiederum ist eng mit dieser Wissensgrenze verbunden. Könnten wir ableiten, wie die Zukunft aussieht, wären unsere Prognosen vollständig, so könnte es keine Hoffnung geben. Die Welt entwickelt sich dann genau so, wie es die Zahlen, Messungen und Hochrechnungen vorgeben. Unsere Haltung kann nur eine der Akzeptanz dieser Berechnungen sein.

Gegen einen „ruchlosen Optimismus“

Ernst Bloch relativiert in seiner Philosophie diese Vorstellung und nennt einen auf Berechnungen beruhenden Optimismus „ruchlos“. Weder haben wir Menschen die Zukunft im Griff, noch ist sie berechenbar. Diese außerordentlich wichtige Leerstelle, die seine Philosophie ausweist, kennt ein Pendant in der Theologie. Hier ist die Verheißung die Grenze aller Berechenbarkeit.

Hoffnung aufgrund von Verheißung

Jürgen Moltmann hat 1964 die berühmt gewordene „Theologie der Hoffnung“ geschrieben. Doch wenn man den Text genau liest, geht es um Hoffnung eigentlich nur am Rande. Nur das einleitende Kapitel befasst sich mit Hoffnung. Bei allen folgenden steht nicht Hoffnung, sondern Verheißung im Mittelpunkt der Betrachtung. Es ist die Verheißung Gottes, die der Grund menschlicher Hoffnung ist.

Verheißung des Reiches Gottes

Was aber ist Verheißung? Kurz und bündig: „Eine Verheißung ist eine Zusage, die eine Wirklichkeit ankündigt, die noch nicht da ist.“ (Theologie der Hoffnung, 1997, S. 92) Die Verheißung ist die Verheißung Gottes. Die Geschichte steht unter dem Vorzeichen, dass letztendlich das Reich Gottes kommen wird. Gott wird bei den Menschen sein und sie werden sein Volk sein.

Nun öffnet das natürlich nicht alle Möglichkeiten für willkürliche Behauptungen über die Zukunft. Der biblische Gott, so zeigt es Moltmann, bindet sich in Zusagen an sein Volk, er gibt diesem Volk eine Verheißung. Dies gilt auch nach der Offenbarung Gottes in Jesus Christus. Nun steht die Geschichte für alle Menschen unter der Verheißung Gottes. Die christliche Botschaft „versteht Geschichte als die durch Verheißung geöffnete Wirklichkeit.“ (a.a.O., S. 204)   

Die Verheißung bleibt die Verheißung Gottes

Es ist nicht der Mensch, der ihre Verwirklichung bewerkstelligen kann, es ist der verheißende Gott. Dadurch aber kann die Verheißung nicht aus dem Bekannten abgeleitet werden. Die Wirklichkeit ist ähnlich wie bei Bloch im Fluss, sie verändert sich. Ja, es kann sogar sein, dass das Verheißungswort „zur gegenwärtigen und ehedem erfahrenen Wirklichkeit im Widerspruch steht.“ (a.a.O., S. 93)

Dies spitzt die Unkenntnis, von der Bloch ausgeht, noch weiter zu. Die Hoffnung folgt einer Verheißung, die in gewisser Weise sogar kontrafaktisch sein kann! Das heißt, dass der christliche Glaube nach Jürgen Moltmann in sehr strengem Sinne auch mit dem rechnen sollte, was sich als unberechenbar erweist.

Unser Handeln soll unserer Hoffnung und der Verheißung Ausdruck geben

Das Nichtwissen um die Zukunft wird in der Theologie der Hoffnung durch die Unterscheidung von Gott und Mensch beschrieben. Die Geschichte steht unter der Verheißung Gottes, die für uns aber kein „Masterplan“ ist, aus dem alle zukünftigen Entwicklungen ablesbar wären. Aber weil die Verheißung Gottes in der christlichen Gemeinde wachgehalten und erinnert wird, „muss auch ihr Leben und Leiden, ihr Wirken und Handeln in der Welt und an der Welt von dem geöffneten Vorraum ihrer Hoffnung für die Welt bestimmt sein.“ (a.a.O., S. 301)

Zugespitzt formuliert: Gerade die Beachtung der Differenz zwischen Gott und Mensch macht es möglich, immer neu auf die Verheißung Gottes zu hören, die wir uns selbst nicht geben können. Diese Verheißung kann in unseren Lebensverhältnissen geradezu kontrafaktisch sein. Aber dennoch bleibt die Verheißung bestehen und wir sind aufgefordert, unser Handeln nicht aus der berechenbaren Wirklichkeit abzuleiten, sondern aus einer Geschichte, die n dem Vorschein des Reiches Gottes unter seiner Verheißung steht.

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(2) Hoffnung, die verzagte Schwester des Optimismus?

Was zeichnet Hoffnung aus? Immer wieder wird gesagt, Menschen könnten heute kaum noch Hoffnung haben, weil doch die Aussichten so schlecht sind. Aber was meint das? Heißt das im Umkehrschluss, dass Hoffnung dann besonders stark und kräftig ist, wenn die Aussichten gut sind? Das wirkt wie eine Trivialität und ist auch eine. Wenn der Blick auf die Zukunft gut ist, wenn es sicher scheint, dass sich die Verhältnisse zum Guten wendet, braucht es dann noch Hoffnung?

Grenzen des Wissens bei Bloch

Im letzten Beitrag ging es um einige Beobachtungen zu Ernst Bloch. Es ist doch sehr aufschlussreich, dass sein Ansatz der Hoffnung gerade mit einer grundlegend unbekannten Gegenwart, dem Dunkel des gelebten Augenblicks korrespondiert. Hier taucht ein Mangel auf. Hoffnung ist gerade dann stark, wenn wir etwas nicht wissen. Bei Bloch ist es die Gegenwart, die wir nicht genau kennen. Denn die Gegenwart ist seiner Ansicht nach nicht ausmessbar, sondern verändert sich ständig, sie gärt, in ihr formt sich Zukünftiges. Hoffnung hat also mit einem Nichtwissen zu tun, das durch die unablässige Veränderung der Welt bestimmt ist. Die Welt selbst ist im steten Wandel. Dementsprechend kennt unser Bewusstsein einen dunklen Punkt. Es fällt leichter, etwas mit Abstand zu beurteilen als aus dem unmittelbaren Geschehen heraus, deshalb ist der Augenblick immer auch unverstanden.

Geschichte als Tendenzwissenschaft

Nach Bloch ist der Wandel der Welt nicht willkürlich, allein durch einen blinden Zufall bestimmt. Es gibt Tendenzen, die sich aus der Geschichte ablesen lassen. Hier knüpft Bloch an den klassischen Marxismus an. Aber auch dann bleibt vieles unverstanden. Diese konzeptionelle Offenheit des Ansatzes von Bloch bietet eine reiche Verbindung zur Kultur, zur Musik und Dichtkunst, weil er ihnen zubilligt, mehr über die Zukunft zum Ausdruck bringen zu können als die simple Berechnung.

Die Ideologie der Berechenbarkeit

Die Einsicht in die sich wandelnde Welt und in unser begrenztes Wissen hilft, sich nicht ganz den Berechnungen und Prognosen zu überlassen und sich an sie zu klammern. Viele Menschen unserer Zeit neigen dagegen dazu, die Welt im Großen und Ganzen für berechenbar zu halten. Dementsprechend gehorcht die Welt festen Gesetzen und entwickelt sich geradlinig in die Zukunft wie auf Schienen. Gäbe es nur Computer, die groß genug wären, gäbe es nur genügend Daten, könnten alle zukünftigen Weltzustände berechnet werden. Und da die Fähigkeit zu Simulationen im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz große Fortschritte gemacht hat, rückt das Ziel einer berechenbaren Welt scheinbar immer näher.

Das ist nach Bloch ein radikaler Irrtum. Es ist im Übrigen auch eine Fehlinterpretation der wissenschaftlichen Beschreibungen der Wirklichkeit, die an vielen Stellen keine letzten Antworten kennen, sondern offene Frage haben. Die Einsicht in den Wandel der Welt wird von einer Unwissenheit begleitet, die nicht aufgehoben werden kann. In Zeiten der Berechnungen und Prognosen wird diese fundamentale Unwissenheit verdrängt. In dieser Zeit gibt es auch wenig Platz für Hoffnung. Der Grund ist aber nicht in erster Linie, dass die Zukunft so düster dasteht, sondern, dass die Ahnung von den Grenzen des eigenen Wissens geschwunden ist.

Ist die Prognose der Hoffnung vorzuziehen?

In einer durchgerechneten Welt gälte: Eine fundierte optimistische Prognose ist auf jeden Fall besser als eine diffuse Hoffnung. Hoffnung ist eher ein Zeichen für eine beklagenswerte Situation: Gibt es keine gute Prognose, lassen sich die verfügbaren Daten nicht mit der Aussicht auf eine gute Zukunft verbinden, dann bleibt nur eine (vage) Hoffnung. Hoffnung ist Optimismus in düsteren Zeiten. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Aber sie stirbt eben auch. Hoffnung wird dann schnellt zu einer Haltung, sich eine Sache schön zu reden. Dann ist Hoffnung angesichts einer schlechten Prognose so trivial wie auf der anderen Seite ein Optimismus angesichts einer guten Prognose.

Doch, wenn die Wirklichkeit in ihrem Wandel Untiefen hat, die sich nicht einfach ausloten lassen, wenn wir Menschen bei aller Technik und Wissenschaft über begrenztes Wissen verfügen, wenn unsere Gegenwart immer von einem Schleier des Unverstandenen begleitet wird, dann kann die Hoffnung eine ganz andere Rolle spielen. Sie wird zum Ausdruck einer Haltung, die der Gegenwart jene Tendenzen abspürt, die in eine bessere Zukunft weisen. Diese Tendenzen gibt es immer, in jeder noch so verfahrenen Situation. Dann ist die Hoffnung nicht die verzagte Schwester der Prognose, sondern eine ganz eigene existentielle Kraft, die nicht davon lässt, dass es gute Tendenzen in der Geschichte gibt, die es zu verwirklichen gilt.

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(1) Hoffnung – Was können wir von Ernst Bloch lernen?

Kaum ein Buch ist so sehr mit einer Philosophie der Hoffnung verbunden, wie das Hauptwerk von Ernst Bloch „Das Prinzip Hoffnung“. Im letzten Beitrag dieses Blogs habe ich es kurz erwähnt, es hat in den 60er Jahren Furore gemacht, es ist zahlreich gelesen und kommentiert worden, in einer Zeit einer großen Zukunftserwartung. Die 60er Jahre waren in vielfacher Hinsicht eine Zeit des Aufbruchs. Technologische Visionen mischten sich mit sozialen und politischen Visionen.

Doch ist „Das Prinzip Hoffnung“ nicht in dieser Zeit geschrieben worden, im Gegenteil: In dunkelster Zeit hat Ernst Bloch an dem Text gearbeitet, als Flüchtling in den USA, herausgerissen aus der deutschsprachigen akademischen Welt, jemand, der in der erzwungenen neuen Umgebung nicht leicht Fuß fassen konnte. In dieser Zeit beschäftigte sich Bloch mit dem Thema der Hoffnung.

Blochs Lebensthema

Schon in seiner Dissertation und in größeren Veröffentlichungen hatte sich Bloch immer wieder mit der Dimension der Zukunft befasst, zentral sind seine Untersuchungen zur Utopie. Insofern ist das Thema biographisch angelegt und doch ist es im Nachhinein verwunderlich, dass sich Bloch ausgerechnet in der kargen und in vieler Hinsicht entbehrungsreichen Zeit des Exils mit dem Thema Hoffnung befasst hat. Denn zur Hoffnung gab es über lange Zeit wenig Anlass. Blochs Flucht aus Deutschland hatte mehrere Stationen, zuletzt war er bis 1939 in Prag, musste aber auch von dort kurz vor der Annexion fliehen.

Die dunkle Zeit

Auch in den USA gab es wenig Grund zur Hoffnung. In den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs eilte das Deutsche Reich von einem Erfolg zum nächsten, eine Wende zeichnete sich erst ab Ende 1942 ab. In den letzten Kriegsjahren begannen die systematische Verfolgung und Ermordung der in Europa lebenden Juden. Die Zerstörungen, die der Krieg hinterließ, waren von einem bis dahin unbekannten Ausmaß. Auch nach 1945 folgte nach dem Krieg erst einmal eine Zeit der Entbehrungen angesichts all der Zerstörungen.

Die Zukunft ist offen

Über die persönlichen Beweggründe kann man sicherlich nur spekulieren. Ich glaube aber, dass es in dem Ansatz der Philosophie von Ernst Bloch einen Grund gibt, warum er in der Lage war, sich in dunkler Zeit gerade mit Hoffnung zu befassen. Und dieser Grund ist außerordentlich wichtig für die heutige Beschäftigung mit dem Thema.

Bloch unterscheidet Hoffnung deutlich von einer Prognose, gleich aus zwei Gründen. Zum einen ist die materielle Wirklichkeit für ihn ein offener Prozess, der Neues hervorzubringen in der Lage ist, es gibt in der Zukunft eine reale Offenheit („Das Prinzip Hoffnung“ 1973, Bd. 1, S. 274). Vor allem aber können Menschen das Künftige nur erahnen, denn sie leben im „Dunkel des Augenblicks“ (a.a.O. S. 334). Menschen sind der Gegenwart verhaftet, haben nicht den Überblick. Es ist möglich, Tendenzen der Geschichte zu erkennen, das ist der wichtigste Grund zur Hoffnung. Aber die Tendenz ist keine Prognose. Sie bietet keinen Automatismus, dass sich alles zum Guten wendet.

Wäre es nicht besser, wir wüssten genau, wie es in Zukunft weiter geht? Wäre es nicht besser, wir hätten klare Prognosen, eindeutige Daten, um die Zukunft zu gestalten? Bloch hat da eine klare Position: Wer meint, die Zukunft mit seinem Wissen in den Griff bekommen zu können, hat seiner Ansicht nach keine Hoffnung. Vielmehr entsteht auf diese Weise ein „abstrakt-ruchloser Optimismus“ (a.a.O. S. 277), wie Bloch es nennt. Die Aussagekraft jeder wissenschaftlichen Prognose im Hellfeld aller verfügbaren Daten will die Zukunft in den Griff kriegen und verliert das Wichtigste, was sie für uns in der Gegenwart ausmacht: Die Hoffnung.

Was wir nicht wissen, nicht wissen können

Die Fähigkeit, Hoffnung zu haben, ist also gerade nicht durch ein detailliertes Wissen bestimmt, sondern durch ein fundamentales Nicht-Wissen! Dieses Nicht-Wissen über die Zukunft trotz aller realen Tendenzen, die Bloch so wichtig waren, ermöglicht ein Staunen und eine Offenheit über das, was da kommen wird.

Was heißt das für unsere eher hoffnungsarme Zeit? Haben wir das Staunen verlernt? Geben wir den wissenschaftlichen Prognosen zu viel Raum? Glauben wir zu sehr, es sei alles berechenbar? In einer solchermaßen ausgeleuchteten Welt fehlt nicht nur das Überraschende, auch die Hoffnung, die sich aus den Ahnungen, den Visionen, den Symbolen und Erzählungen nach vorne nährt, hat es schwer.

Über den philosophischen Ansatz von Ernst Bloch kann man mit guten Gründen streiten. In seiner Betonung der Fruchtbarkeit der Begrenztheit unseres Wissens scheint aber eine zentrale Erkenntnis auf. Sie ist eng mit der Fähigkeit zu einer kraftvollen Hoffnung verbunden. Die Neugier auf die immer auch unbekannte Zukunft, die Offenheit für das noch Unverstandene, das Staunen über das, was da kommt, ist eine Quelle jener Hoffnung, auf die Bloch in seinem Werk weist. Das ist auch der Grund zu suchen, warum er auch in dunkler Zeit sich so intensiv mit der Hoffnung beschäftigen konnte.

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(0) Konjunkturen der Hoffnung

Die hier beginnende Reihe von Blog-Beiträgen zu den Wegen der Hoffnung möchte ich mit einer eher anekdotischen Beobachtung beginnen: Es gab offensichtlich Zeiten, in denen es einfacher, ja, populärer war, von Hoffnung zu reden. Das waren zum Beispiel die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Diese Jahre waren geprägt von einem außerordentlichen Zukunftsoptimismus. Es war leicht, von Hoffnung zu reden, Hoffnungsbilder zu entwerfen.

Am wichtigsten war wohl ein Abstand zu den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und die Erfahrungen eines stetigen Wirtschaftsaufschwungs. Im Rückblick werden die 30 Jahre zwischen dem Ende der 40er und den 70er Jahren in der Ökonomie auch „trente glorieuses“ genannt. Es gab ein kontinuierliches Wachstum in der westlichen Welt, es ging aufwärts, dieser Trend erfasst alle Menschen, die Ärmeren ebenso wie die Reicheren. Eine Metapher, die dieses Phänomen eines kollektiven Aufschwungs zum Ausdruck bringt, ist der „Fahrstuhleffekt“, ein von dem Soziologen Ulrich Beck geprägter Begriff. Die schmerzliche Aufarbeitung der Katastrophe der Shoah wurde dagegen in dieser Zeit weitgehend vermieden. Erst Ende des Jahrzehnts gab es immer mehr Stimmen, die auf das geschehene Unrecht hinwiesen und die eine gesellschaftliche Befassung erzwangen.

Zu dem wirtschaftlichen Aufschwung gesellte sich ein spürbarer technologischer Fortschritt.  Zu Beginn der 60er Jahre rief der amerikanische Präsident John F. Kennedy dazu auf, den Mond zu erreichen, 1969 wurde dies durch den berühmten Schritt des Astronauten Neil Armstrong in die Wirklichkeit umgesetzt. Die Computertechnik wurde vorangetrieben, die Rechenkapazität der Geräte stieg merklich an, auch wenn diese Zahlen für uns heute sehr klein erscheinen. Eine erste Simulation einer Künstlichen Intelligenz wurde durch das Computerprogramm Eliza von Joseph Weizenbaum realisiert. Die Atomspaltung schien eine unerschöpfliche Energiequelle zu verheißen, Proteste gab es in den 60er Jahren nur vereinzelt.

Science Fiction eroberte die Populärkultur. In den USA begeisterten die ersten Ausstrahlungen der neuen Serie „Star Trek“, in Deutschland wurde die Serie „Raumschiff Orion“ produziert. Die Eroberung des Weltalls schien eine logische Konsequenz des technischen Fortschritts auf der Erde.

In dieser Zeit traf das zentrale Werk von Ernst Bloch „Das Prinzip Hoffnung“ auf große Resonanz. Bloch erschließt in dem Werk auf vielschichtige Weise das Thema Hoffnung. Er bot neben einer tiefgreifenden philosophischen Analyse einen umfassenden Überblick über Utopie Entwürfe und „Tagträume“ der europäischen Kulturgeschichte. Das Werk war so umfassend, dass eine Behandlung des Themas Hoffnung ohne Referenz auf Ernst Bloch heute nicht mehr möglich ist.

Eng verbunden mit diesem Ansatz war eine politische Hoffnung, dass es nach der Aufteilung der Welt in zwei Blöcke, in einen kapitalistischen Block und einen sozialistischen, kommunistischen Block, möglich sein könne, auf einem dritten Weg die Vorteile beider miteinander zu kombinieren und einen freiheitlichen Sozialismus zu schaffen. Die politischen Diskussionen der Linken führten schließlich zu der eruptiven Entwicklung des Jahr 1968. Bis heute steht das Jahr als Kennzeichen für eine progressive politische Bewegung, einen politischen und kulturellen Aufbruch, der damals alle Länder des Westens erfasste.

Auch in der Theologie fand das Thema Hoffnung große Aufmerksamkeit. Der Theologe Jürgen Moltmann wurde schnell berühmt durch seinen Entwurf „Theologie der Hoffnung“. Aber auch andere Theologen wie Wolf-Dieter Marsch befassten sich mit einer theologischen Interpretation von Hoffnung.

Kurz, die 60er Jahren waren ofenkundig eine hoffnungsvolle Zeit. Es war leicht, von Hoffnung zu reden. Wäre es da nicht sehr attraktiv, an diese Zeit umstandslos anknüpfen zu können? Doch das ist nicht möglich. Wer heute an die Hoffnung appelliert, ist nicht zu Unrecht vielen kritischen Fragen ausgesetzt. In der Tat, kann der Appell „Seid hoffnungsvoll!“ schnell schal werden. Was unterscheidet eine solche Hoffnung von einem oberflächlichen Optimismus, der der Devise folgt: Besser Optimist sein als Pessimist?!

Der Kontrast der damaligen Zeit zu der unseren heute ist sehr auffällig. Aber was lässt sich daraus ableiten? Gibt es heute keinen Grund zur Hoffnung mehr? Oder war vielleicht der damalige Gebrauch des Wortes fahrlässig? Was meint Hoffnung genau? Hat Ernst Bloch die abschließende Antwort gegeben? Wir können wir heute uns wieder auf Hoffnung ausrichten, ohne einem Zweckoptimismus zu verfallen? Meint der Begriff „Hoffnung“ in jeder Zeit dasselbe oder je etwas anderes? Fragen über Fragen, die Anlass für die folgenden Beiträge in diesem Blog sind. Ob am Ende befriedigende Antworten stehen, muss offenbleiben. Sich mit Hoffnung zu befassen, scheint mir angesichts der gegenwärtigen Situation aber aller Mühe wert.

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In welche gesellschaftliche Zukunft führen die KI Systeme?

Die Diskussionen um die Entwicklung neuer Generationen von Künstlicher Intelligenz nehmen immer mehr an Fahrt auf. Der entscheidende Durchbruch war die Entwicklung eines leistungsfähigen Sprachmodells ChatGPT, das die Firma OpenAI im letzten Herbst der staunenden Weltöffentlichkeit präsentierte.

Dynamik der Entwicklung nimmt stark zu

Seitdem sind viele weitere leistungsstarke KI Angebote hinzugekommen, große Firmen wie Google (LaMDA; Bard), Meta (LLaMA) und Microsoft (Azure) präsentieren eigene Varianten großer, leistungsfähiger KI. Hinzu kommen viele Entwickler, die mit Open Source Programmen wie LAION arbeiten. Die Dynamik der KI Entwicklung ist sehr hoch, es ist zu erwarten, dass eine Vielzahl von Anwendungen und Produkten demnächst verfügbar sein werden.

Welche Richtung schlagen die KI Entwicklungen ein?

Doch welche Richtung nimmt diese Entwicklung? Sind die KI Systeme einfach nur eine weitere Stufe der vielen Entwicklungen des Silicon Valley? Reihen sie sich ein in die Produktentwicklungen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Welt verändert haben? Natürlich kann es nach dem jetzigen Stand keine eindeutige Antwort geben. Aber es gibt Indizien, die zeigen, dass mit der Entwicklung starker KI eine neue Richtung der Technikentwicklung eingeschlagen wurde, die sich definitiv von der vorigen unterscheidet. Diese Aussage möchte ich mit zwei Beobachtungen unterstützen.

Erste Beobachtung

Die erste Beobachtung betrifft die „Philosophie“, die Wertorientierung, die die Entwicklungen des Silicon Valley bislang getrieben haben. Gleich vorab muss ich einschränken, dass es nicht um die realen gesellschaftlichen Auswirkungen der Technologien geht. Die sind, das ist hinreichend bekannt, zum Teil höchst ambivalent. Es geht vielmehr um die Ideen, die die Entwicklungen getrieben haben.

Freiheit und Individualisierung

Die zentralen Ideen sind die der Freiheit und der Individualisierung und weltweite Vernetzung. Die Technologien des Silicon Valley sollten die freie Verfügbarkeit von Informationen fördern, sie sollten die Kommunikation unter den Menschen erleichtern. Die Menschen sollen frei entscheiden, mit wem sie wann und wo kommunizieren. Die traditionellen Bindungen und der soziale Nahraum sollten nicht mehr die entscheidende Rolle spielen. Zugleich zielten die Entwicklungen auch auf einen leichten Zugang zu Waren. Mit einem Klick soll jede und jeder die gewünschten Waren im Internet bestellen, Reisen buchen, Geld anlegen usw.

Diese Ideen sind in der Entwicklung eines Personal Computers zur individuellen Nutzung, in der Entwicklung des World Wide Web, in der Entwicklung unzähliger Internetseiten und der Suchmaschinen, die sie zugänglicher machen, in der Entwicklung der Social Media und in der Entwicklung des Smartphones und unzähliger Apps angelegt.

KI Systeme aggregieren Daten

Bei der Entwicklung der neuen leistungsstarken Formen der Künstlichen Intelligenz ist das anders. Hier werden im Kern Daten aggregiert, nicht distribuiert. Nun kann man sagen, dass auch die Leistungen der KI wie die Suchmaschinen allen verfügbar gemacht werden können. Doch bleiben die wertvollen Erkenntnisse wenigen vorbehalten.

Eine wichtige Einschränkung des Arguments weist darauf, dass Suchmaschinen wie Google und Plattformen wie Amazon auch in der Vergangenheit von der Aggregation von Daten gelebt haben, die nicht allen zugänglich sind. Das stimmt, hier gibt es eine kontinuierliche Entwicklung von den Plattformen und den Suchmaschinen zur KI. Aber die KI ist die erste Technologie, die von Beginn an darauf ausgerichtet ist.

Zweite Beobachtung

Die zweite Beobachtung, die das Argument stützt, ist die Art und Weise, wie die Entwickler der KI öffentlich kommunizieren.

Große Gefahren durch KI?

Statt in der für der Silicon Valley üblichen Weise Verheißungen für die Menschheit zu verkünden, warnten die Entwickler zunächst einmal im letzten Jahr und forderten den starken und regulierenden Staat, forderten ein Moratorium der Entwicklung.

Weltweites Grundeinkommen durch KI?

Besonders misstrauisch macht nun die Tatsache, dass Sam Altman, der an der Entwicklung von OpenAI zentral beteiligt war und der einen dystopischen Aufruf mit Warnungen vor wenigen Monaten unterschrieb, nun ins Gegenteil verfällt und eine Art Menschheitsbeglückung propagiert. Alle Menschen sollen ihre Identität über das Scannen der Augen sichern und fälschungssicher nachweisen (World ID) und dann ein weltweites Grundeinkommen in einer digitalen Währung (Worldcoin) erhalten. Dazu werden weltweit Millionen Augenscanner aufgestellt.

Neben der grundlegenden Frage, wie das ökonomisch bewertet werden kann, bleibt die Frage, warum die Entwickler von KI so wechselhaft agieren. Es liegt die Vermutung nah, dass sie selbst nicht wissen, wie sie eine Technologie, die definitiv demokratische Entwicklungen und Kulturen der Freiheit NICHT unterstützt, öffentlich vermarkten sollen. So schwanken sie zwischen öffentlichen Warnungen und einer Haltung der Menschheitsbeglückung.

KI als Herausforderung freier und demokratischer Gesellschaften

Fazit: die KI Technologien werden gerade die demokratischen und offenen Gesellschaften erheblich herausfordern. Politische und kulturelle Entwicklungen finden immer in Korrelation mit der technischen Basis einer Gesellschaft statt. Wie wird die Gesellschaft aussehen, in denen KI Systeme allgegenwärtig geworden sind?

Zur Leitidee der Künstlichen Intelligenz