Freund und Feind in der Demokratie?

Eine lebendige Demokratie lebt von Vertrauen und Misstrauen gleichermaßen. Beide haben in der Demokratie ihre Bedeutung, aber in unterschiedlichen Anteilen und an unterschiedlichen Orten.

Misstrauen ist notwendig in offenen Gesellschaften

Misstrauen ist unumgänglich in einer offenen Gesellschaft. Diese Gesellschaft besteht aus sehr unterschiedlichen Gruppen, zwischen denen immer auch Konflikte herrschen. Diese Konflikte lassen sich auch nicht aus einer übergeordneten Perspektive auflösen, sie gehören wie die Politologen Chantal Mouffe und Ernesto Laclau gezeigt haben, zu jeder offenen demokratischen Gesellschaft. Selbst wenn immer wieder einmal Konflikte auch beseitigt werden können, so entstehen im Nu neue Konflikte. Das Ziel kann nicht sein, dass eine demokratische Gesellschaft alle Konflikte auflöst, sondern dass sie in einer besonderen Weise mit Konflikten umgeht.

In jeder offenen Gesellschaft gibt es deshalb Misstrauen unter den vielfältigen Akteuren. In einer Demokratie aber verständigen sich darauf, dass demokratisch legitimierte Prozeduren von allen zu respektieren sind. Hier ist bei allem Misstrauen im Einzelfall ein grundlegendes Vertrauen in die demokratischen Entscheidungsprozeduren zentral. Wenn aber dieses grundlegende Vertrauen erodiert, ist die Demokratie in Gefahr.

Demokratische Prozeduren müssen von Vertrauen bestimmt sein

Genau dieses Vertrauen aber geht in den letzten Jahren deutlich zurück. Zu den Alarmzeichen gehört die Popularität von Verschwörungstheorien. Diese so genannten „Theorien“ sind oft zu abstrus als dass sie glaubhaft sind. Aber das ist auch nicht ihre Funktion. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Wirklichkeit anders zu beschreiben als es die „herrschende“ Meinung zum Ausdruck bringt. Verschwörungstheorien setzen ein fundamentales Misstrauen, das sich durch demokratische Prozeduren nicht mehr abschwächen lässt. Das Misstrauen gegen die so genannten „herrschenden“ Eliten gewinnt eine absolute Rolle.

Verschwörungstheorien, Freund-Feind Unterscheidungen

Die Verschwörungstheorien schaffen Freund-Feind Unterscheidungen, die keine Vermittlung kennen. Möglicherweise besteht ihre verschwiegene Erfolgsstrategie gerade darin, dass sie mit diesem Schema ein neues Wir schaffen, ein Wir, das sich darauf einschwört, dem „Feind“ zu widerstehen. Da fallen die unglaubhaften Theorien kaum in Gewicht. Damit aber generieren die Verschwörungstheorien auch Vertrauen, zu eben jenen Menschen, die diese „Theorien“ folgen. Hier ist aber das Vertrauen-Misstrauen Schema ganz anders geartet als es für Demokratien verträglich ist. Das Misstrauen dominiert, das Vertrauen gilt nur noch einer kleinen Gruppe in der Gesellschaft.

Das Beispiel der US-amerikanischen Parteien

Der Journalist Ezra Klein hat die demokratischen Mechanismen der amerikanischen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten untersucht. Dabei kam er einem fundamentalen Wandel auf die Spur: Im 20. Jahrhundert haben Menschen die Republikaner oder die Demokraten gewählt, weil sie von deren Position überzeugt waren. Im Vordergrund stand immer noch das gemeinsame Verfahren der Mehrheitsbildung. Doch das wandelte sich in den letzten Jahren fundamental. Heute wird von vielen eine Partei gewählt, weil sie gegen die anderen ist. Auch hier überwiegen unversöhnliche Freund-Feind-Schemata und das Misstrauen gegenüber dem Vertrauen.

Die Erosion des Vertrauen

Das aber erodiert demokratische Prozeduren und macht sie immer schwächer. Das Vertrauen in die demokratisch verfasste Gesellschaft schwindet. Langsam aber sicher schleicht sich überall ein Freund Feind Schema ein: Was Schlechtes über den Feind gesagt werden kann, ist im Zweifel richtig. Es entsteht eine Lagerbildung, die immer mehr die politische Landschaft kennzeichnet. Die demokratischen Entscheidungsprozeduren werden schnell als Mittel der Gegner, der Feinde denunziert, ihre Position durchzusetzen. Das Misstrauen überwiegt und dominiert die politischen Prozesse.

Aktueller Nachtrag (26.1.): Die FAZ heute bringt eine neue Untersuchung von Allensbach und ich gehe davon aus, dass neben einem politischen Bias die empirischen Daten korrekt bearbeitet sind. Der Artikel endet mit: „Das Vertrauen der Bevölkerung, dass die Politik die Probleme und Herausforderungen in den Griff bekommt, ist gering; lediglich 17 Prozent sind hier zuversichtlich. Angesichts der großen Transformationsprozesse ist es für die Politik jedoch eminent wichtig, dass die Bürger der Ratio und Kompetenz politischer Entscheidungen vertrauen und einen Staat erleben, der Entscheidungen qualifiziert trifft, effizient umsetzt und generell leistungsfähig ist. Dieses Vertrauen erodiert seit Jahren.“

Zur Einführung zum Thema Vertrauen und zu weiteren Beiträgen

Fragen zu Lützerath

Die Demonstration heute (Samstag, 14.2.) in der Nähe von Lützerath führt allen vor Augen, wie dramatisch die Auseinandersetzung um den noch benötigten Umfang des Braunkohleabbaus ist. Lützerath ist ein Symbol geworden für die Auseinandersetzung um die zukünftige Energieversorgung.

Die Eckpunktevereinbarung mit RWE

Im Mittelpunkt steht die Eckpunktevereinbarung, die Bundesregierung und Landesregierung NRW mit der RWE Konzern Mitte des Jahres geschlossen haben. Diese Vereinbarung sollte eigentlich eine positive Botschaft aussenden: In NRW soll der Ausstieg aus der Braunkohleförderung um 8 Jahre von 2038 auf 2030 vorgezogen werden. Die Vereinbarung beinhaltet eine Rechnung, wie ein vorzeitiger Ausstieg gelingen kann. Hierbei hat das so genannten Osterpaket der Bundesregierung von 2022 eine große Bedeutung, das den konsequenten Ausbau von regenerativen Energien vorsieht. Nur wenn dieser Ausbau geschieht, dann ist es möglich, den Ausstieg aus der Braunkohle um 8 Jahre vorzuziehen.

Die Kritik an der Vereinbarung

Nun steht die Vereinbarung mit dem RWE Konzern im Mittelpunkt der Proteste in Lützerath. Kritische Stimmen wie die des BUND und andere stellen alternative Rechnungen an, die einen viel schnelleren Ausstieg aus der Braunkohleförderung als möglich ansehen. Die Demonstrierenden fordern deshalb eine Revision der Vereinbarung und einen früheren Ausstieg.

Warum der Protest um die Vereinbarung?

Aber ist der skizzierte Streitpunkt aber wirklich so relevant wie es die dramatischen Bilder nahe legen? Stellt er nicht eher einen Nebenschauplatz dar? Es geht doch im Kern um die Bekämpfung des Klimawandels, um die Reduktion von CO2 Emissionen. Diese Reduktion wird möglich, indem klimaschädliche Energiequellen wie die Braunkohle, aber auch Schwarzkohle, Öl und Gas, so schnell als möglich reduziert werden. Das ist unstrittig.

Die Auseinandersetzung, die unsere Zukunft entscheidet

Die eigentlichen Felder der Auseinandersetzung, um dieses Ziel zu erreichen, sind genau zwei: Einerseits muss alles getan werden, um den Ausbau regenerativer Energien voranzutreiben. Andererseits muss alles getan werden, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Von diesen beiden Seiten kann der Verbrauch klimaschädlicher Energiequellen und die Produktion von CO2 reduziert werden.

Szenario 2028

Nun nehmen wir einmal in der besten aller Welten an, es wäre möglich weit mehr und schneller als im Osterplan der Bundesregierung vorgesehen regenerative Energiequellen zu erschließen. Und nehmen wir an, es gelänge wirklich, unseren Energieverbrauch in der kommenden Zeit stark zu senken. Dann könnten wir vielleicht im Jahr 2028 feststellen, dass für die Energieversorgung in Deutschland Braunkohle nicht länger notwendig ist. Wer glaubt, angesichts der bis dahin weiter voranschreitenden Belastungen durch den Klimawandel, dass eine Bundesregierung dann für die Verfeuerung von Braunkohle eintritt, nur weil es in einer Vereinbarung von 2022 festgehalten ist?

Hindert die Vereinbarung den Ausbau regenerativer Energien? Das wäre vielleicht denkbar, wenn billige Braunkohle den Ausbau bremst. Hier müssen die Instrumente wie CO2 Besteuerung viel stärker zum Zugen kommen als bislang geplant. Dann steigen die Preise für Braunkohle und werden wirtschaftlich unrentabel, auch für RWE.

Was ist eine Vereinbarung?

Vereinbarungen und Verträge kann man bekanntlich kündigen. Ja, dann würde RWE klagen und müsste entschädigt werden. Dadurch entsteht ein Schaden. Deshalb sollte RWE nicht durch unbedachte Verträge in eine zu gute Position versetzt werden. Aber es ist ein finanzieller Schaden, keiner der den Klimawandel betrifft. Solche Entschädigungen sind immer wieder vorgekommen. Etwa auch beim vorgezogenen Atomausstieg. Nach der Katastrophe von Fukushima wurde der Ausstieg in kürzester Zeit politisch durchgesetzt. Die Firma UNIPER hat in kürzester Zeit ihr Geschäftsfeld durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine verloren. Dann ist der Staat eingetreten. Die Interventionen des Staates in privatwirtschaftliche Verhältnisse sind seit 2020 sehr zahlreich. Das alles ist teuer, aber nicht unmöglich. Die Diskussion im Jahr 2028 um den Klimaschutz wird noch viel heftiger sein als heute. Welche politische Partei würde es durchsetzen, wegen alter Verträge der Allgemeinheit massiven Schaden zuzufügen?

Deshalb ist die Konzentration auf den Vereinbarung mit dem Konzern RWE sehr fragwürdig, weil sie von den eigentlichen Feldern der Auseinandersetzung ablenkt: Der Ausbau regenerativer Energien und die Einsparung beim Energieverbrauch. Das und nur das reduziert CO2 Emissionen. Hier entscheidet sich, wie die Zukunft aussieht. Hier muss mobilisiert und müssen alle Kräfte konzentriert werden. Der Klimawandel schreitet voran, die Maßnahmen werden immer dringlicher.

Vertrauen als Grundlage der Wirtschaft

In dieser kleinen Blogreihe steht die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle das Vertrauen in unterschiedlichen Bereichen unserer Gesellschaft spielt. Es ist auffällig, dass die existentielle Größe Vertrauen sich nicht auf zwischenmenschliche Beziehungen beschränken lasst. Sie ist auch eine Grundbedingung für das Funktionieren moderner ausdifferenzierter gesellschaftlicher Systeme. Das zeigt sich auch in der Wirtschaft.

Ehrbares Verhalten“

Klar ist, dass jeder Tausch, jeder Handel zwischen Menschen mit Vertrauen zu tun hat. Keiner kauft gerne „die Katze im Sack“. Ist das angebotene Gut auch wertvoll? Ist Betrug ausgeschlossen? Hat der Mensch, der kauft und noch nicht gezahlt hat oder der verkauft und noch nicht die Ware geliefert hat, auch einen guten Leumund? In der Zeit der Hanse entstand die Auszeichnung des „ehrbaren Kaufmanns“. Diese Zuschreibung verpflichtet die Kaufleute, sich korrekt und vertrauenswürdig zu verhalten. Wer die Zuschreibung verliert, gerät ins Abseits.

Vertrauen in Markenprodukte

Das zwischenmenschliche Vertrauen ist Teil jeder wirtschaftlichen Transaktion, auch schon des einfachsten Tausches. Leicht lässt sich das zwischenmenschliche Vertrauen auch auf Institutionen ausweiten. Produziert das Unternehmen X wirklich gute und nachhaltige Produkte? Oder wird unter dem Schein einer hochwertigen qualitativen Ware tatsächlich Wertloses verkauft? Unternehmen agieren am Markt und je transparenter der Markt ist, desto größer ist ihr Bestreben, sich vertrauenswürdig zu verhalten. Je intransparenter dagegen der Markt, desto leichter fällt es betrügerischen Unternehmen in kurzer Zeit viel Geld zu machen.

Vertrauen in Unternehmen

Transparenz schafft Vertrauen. Nun ist die Transparenz auch in unserer gut informierten Zeit nicht trivial. Eigentlich sollten Unternehmen, insbesondere solche, die dem Aktienrecht bzw. -gesetz unterliegen, stets transparent sein, es gelten Berichtspflichten, Wirtschaftsprüfungen werden durchgeführt. Doch Skandale wie bei dem Unternehmen Wirecard zeigen, dass die Regeln des gegenwärtige Wirtschaftssystems mit genügend krimineller Energie leicht ausgehebelt werden können!

Vertrauen in der Volkswirtschaft

In ganz andere Dimensionen führt das Thema Vertrauen, wenn es um die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns geht. Im Mittelpunkt stehen hier die Verschuldung und die Begleichung von Schulden und die Stabilität von Währungen. Diese Themen sind besonders in unserer Zeit von größter Bedeutung.

Vertrauenskrisen durch Inflation und Schulden

Eine Währung zu akzeptieren, bedeutet, ihrem Wert eine Stabilität zuzumessen. Zeiten der Inflation können Krisenzeiten des Vertrauens in eine Währung sein, wenn die Erwartung auf Stabilität schwindet. Dann entstehen Inflationsspiralen. In Erwartung sinkender Kaufkraft werden höhere Löhne gefordert, die Preise steigen durch die Erwartung, dass die realen Gewinne schrumpfen.

Insbesondere die Fähigkeit, Schulden zu machen, ist elementar mit Vertrauen verbunden. Hier möchte ich auf ein sehr lesenswertes Buch über Wirtschaftskrisen: „Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen“ von Carmen Reinhardt und Kenneth Rogoff (München 2010) hinweisen. Die Autorin, der Autor sind sehr ausgewiesen, Carmen Reinhardt ist Chefökonomin der Weltbank, Rogoff lehrt in Harvard. Ein zentrales Zitat aus dem Buch hebt die Rolle des Vertrauens für das gesamte wirtschaftliche System hervor:

Vertrauen ist grundlegend, aber nicht prognostizierbar

„Die Wirtschaftstheorie besagt, dass es gerade die launische Natur des Vertrauens ist, einschließlich seiner Abhängigkeit von der öffentlichen Erwartung über zukünftige Ereignisse, welche die Vorhersage von Schuldenkrisen so schwer macht. (…) Ökonomen haben keine sehr genau Vorstellung darüber, welche Ereignisse Einfluss auf das Vertrauen haben und wie sich die Verwundbarkeit des Vertrauens konkret einschätzen lässt. In der Geschichte der Finanzkrisen kann man immer wieder feststellen, dass ein Ereignis, das sich am Horizont erahnen lässt, irgendwann auch eintreten wird. (…) Der genaue Zeitpunkt einer Krise lässt sich jedoch nur schwer vorhersagen.“ (40f)

Das heißt, dass Vertrauen von grundlegender Bedeutung auch in komplexen, modernen ökonomischen Systemen ist. Trotz der unglaublichen Fülle von exakten Kennzahlen, die heute zur Verfügung stehen, lässt sich diese Basisgröße nicht berechnen! Das Wirtschaftssystem ist im Kern kein stabiles Konstrukt, sondern elementar von Faktoren abhängig, die in hohem Maße volatil sein können. Vertrauen als existentielle menschliche Größe entzieht sich einer Quantifizierung und damit einer technischen Rationalisierung. Solange Vertrauen da ist, sind wachsende Schuldenberge kein Problem. Finanzkrisen aber entstehen, wenn dieses Vertrauen plötzlich verloren geht.

Weitere Blogbeiträge zum Thema Vertrauen:

Zur Einführung zum Thema Vertrauen und zu weiteren Beiträgen

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