Gibt es Vernunftsgründe für die Existenz Gottes?

 

Die Frage, ob man die Existenz Gottes mit Vernunftgründen belegen kann, ist schon alt. Sie ist in Zeiten diskutiert worden, in denen die allermeisten Menschen noch selbstverständlich von der Existenz Gottes ausgingen. Philosophen des Mittelalters haben auf diese Weise versucht, die biblische Rede von Gott mit der Begrifflichkeit griechischer Philosophie zu verbinden. Die Voraussetzung solcher Vorhaben war und ist, dass man Gott in einer Weise definiert, die dem vernünftigen Nachdenken zugänglich ist. Gott werden dann in der Regel Eigenschaften zugesprochen wie: Gott ist allmächtig. Oder: Gott ist allwissend. Oder. Gott ist das, was größer nicht gedacht werden kann. Ist Gott mit diesen Eigenschaften definiert, versucht man zu zeigen, dass Gottes Existenz aus vernünftigen Gründen verteidigt werden kann.

Ein Beitrag zu der Frage, ob die Existenz Gottes schon aus Vernunftsgründen bejaht werden kann, ist  das sehr populäre kleine Buch des Philosophen Holm Tetens: „Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie.“ Tetens fragt und argumentiert als Philosoph, das heißt, nur innerhalb jener Grenzen, die der Philosophie gesetzt sind. Er bekennt sich nicht zu einer bestimmten religiösen Gottesvorstellung. Aber er lässt an mehreren Stellen durchscheinen, dass sein Nachdenken schon in das Umfeld der christlichen Traditionen gehört.

Es geht nicht um Wunderglauben

Tetens setzt zunächst einmal die Gültigkeit der Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung voraus. Gott ist zunächst einmal nichts, was mit der Durchbrechung naturwissenschaftlicher Gesetze identifiziert werden kann. Ihm geht es vielmehr um die Frage, ob man die Behauptung, Gott existiere, mit vernünftigen Argumenten begründen kann.

Die erste und wichtigste Voraussetzung für ein solches Vorhaben ist es, dass man mit Gott Eigenschaften verbindet. Tetens beginnt zunächst beim Menschen und definiert ihn als ein endliches Subjekt. Wir Menschen sind nicht Weltgeist, sondern in endliche Körper eingebunden und haben nur endliche Erkenntniskraft. Wir sind in unserem Leben unüberwindlichen Hindernissen ausgesetzt, das definiert unsere Endlichkeit. Von dieser Definition des Menschen ausgehend, beschreibt Tetens in einem zweiten Schritt Gott als ein unendliches Subjekt. Gott ist also keinen unüberwindlichen Hindernissen ausgesetzt, deshalb ist Gott nicht endlich. Weiterhin will Gott das Gute, er ist kein kalter, distanzierter, sondern ein wohlwollender Gott. Von diesen grundlegenden Annahmen geht Tetens aus und prüft dann, ob man mit vernünftigen Gründen sagen kann, dass ein solcher Gott existiert.

Gott als Schöpfer des Bösen?

Eine entscheidende Frage ist die Frage, wie Gott und Welt zusammen gedacht werden. Gott ist nach Tetens Schöpfer der Welt. Das ist mit seiner Definition des unendlichen Subjekts vereinbar. Gott kann als Schöpfer über alles Weltliche verfügen, nichts kann ihm ein Hindernis darstellen. Denn jedes Hindernis würde ihn begrenzen, die Unendlichkeit wäre aufgehoben. Nun hat diese klassische Vorstellung von Gott dem (unendlichen, allmächtigen) Schöpfer aber ein riesiges Problem: Was machen wir mit dem Bösen in der Welt? Hier klingt die berühmte Theodizee Frage an: Wenn Gott allmächtig, unendlich ist, und gleichzeitig gut und wohlwollend, wie kann es dann das Böse in der Welt geben? Es werden begriffliche Klimmzüge notwendig, weil nun erklärt werden muss, warum das Böse ist, obwohl es Gott nicht will und obwohl das Böse für Gott kein ernstzunehmender Widerstand sein kann. Eine klassische Antwort auf dieses Problem ist, dass Gott das Böse nicht aktiv will, sondern nur zulässt. Doch warum sollte diese Unterscheidung überzeugend sein? Laufen beide Einstellungen, „wollen“ und „zulassen“, nicht auf dasselbe hinaus? Eine philosophische Vorstellung von Gott dem Schöpfer der Welt, die Gott und Welt in eine (vernünftige) Ordnung zu zwängen versucht, verwickelt sich von Beginn an in Widersprüche! Das entscheidende Gegenargument ist die Existenz des Bösen, des absolut Widervernünftigen in der Welt. Beispiele dafür finden wir jeden Tag, wir brauchen bloß die Nachrichten aus der Welt lesen.

Wie kann man vernünftig von etwas Unvernünftigen reden?

Das Problem einer rationalen Theologie im Sinne Tetens ist meiner Ansicht nach, dass sie in rationale Begrifflichkeit einzufangen sucht, was sich dieser von Beginn an entzieht. Liefere ich damit ein Plädoyer für den Irrationalismus? Nein, die Vernunft ist zu wichtig, um leichtfertig mit ihr umzugehen. Die entscheidende Frage ist, wie man sich dem nähert, was sich der Vernunft entzieht. Beide Wege halte ich für falsch: Entweder die Gottesvorstellung so weit in die vernünftige Ordnung zu zwingen, dass der Anschein entsteht, man könne Gott zu einem Teil eines Vernunftsystems machen oder aber die Vernunft zu vergessen und sich kopfüber in den Irrationalismus zu stürzen.

Dagegen ist es für mich entscheidend, wie wir uns dem Nicht-Vernünftigen, dem Über-Vernünftigen annähert, das immer im Spiel ist, wenn es um Gott geht. Auch hier sind wir aufgefordert, die Mittel der Vernunft einzusetzen, wir sollen mit verständlichen Worten von Gott reden, aber es sind die Mittel einer Vernunft, die sensibel ist für die Differenzen und Abweichungen und ihre eigenen Grenzen. Und es sind Worte, denen man abspürt, dass sie über sich selbst hinaus weisen. Die philosophische Aufklärung immer wieder hervorgehoben, wie wichtig es ist, die Grenzen der Vernunft zu berücksichtigen. Es ist nicht alles vernünftig oder alles unvernünftig. Es ist vielleicht gerade vernünftig, ständig mit den Grenzen der Vernunft zu rechnen. Wer von Gott redet, hat es aber immer mit den Grenzen der Vernunft zu tun.

Die Geschichte als Umfeld einer endlichen Vernunft

Die biblischen Texte gehen in einer bestimmten Weise mit Gott um. Sie zwängen ihn nicht in ein Prokrustesbett rationaler Begrifflichkeit, sondern betonen immer wieder die geschichtlichen Vorgänge, in denen sich Gott zeigt. Es sind konkrete geschichtliche Ereignisse, mit denen Gott in Verbindung gebracht wird, der Auszug aus Ägypten oder das babylonische Exil oder auch das Leben und Sterben des Jesu von Nazareth. Ist die Geschichte vernünftig? Nein, leider nicht. Ist sie einfach unvernünftiges Chaos? Das könnte wohl nur ein Zyniker sagen. Wir sind endliche Subjekte, wie Tetens zu Recht sagt. Aber als endliche Subjekte sind wir geschichtliche Subjekte und die Geschichte vernachlässigt Tetens. So ist es kein Zufall, dass er das apostolische Glaubensbekenntnis zitiert, dabei den ersten Artikel, Gott der Schöpfer, und den dritten Artikel, Gott als Geist, aber den zweiten Artikel: Gott offenbart in der Geschichte durch Jesus Christus komplett auslässt.

Wir leben in einem Fluss geschichtlicher Ereignisse, die wir mit der Vernunft auszuleuchten versuchen, so gut es geht. Aber es ist vielleicht besonders vernünftig, immer auch auf die Ränder zu achten, die sich der Vernunft entziehen. Also müssen wir uns gerade im Gebrauch der Vernunft üben, um dann ihre Grenzen besser erahnen zu können. Dann aber erahnen wir auch die Existenz Gottes. Seine Existenz schlüssig begründen können wir in dem kleinen Lichtkegel unserer Vernunft leider nicht.