Die folgenden Thesen sind eine nachträgliche Dokumentation der Grundlage einer Diskussion zwischen Helmut Fink, Akademie für säkularen Humanismus und mir in Essen im letzten Jahr. Die Diskussion ist auch in einem Video dokumentiert worden:
https://www.youtube.com/watch?v=2jQMmSDsPgY
Die Veranstaltung war schon die fünfte der Reihe „Lasst uns reden!“ zwischen der Akademie für säkularen Humanismus und der Evangelischen Akademie im Rheinland. Im Folgenden werden die Thesen von Helmut Fink und mir dokumentiert.
Ich habe versucht, Schöpfung als eine Referenz auf unsere Verbundenheit mit der Wirklichkeit zu deuten. Diese Verbundenheit führt dazu, dass sie nicht zu einem neutralen Gegenüber wird, dass man für sie danken, dass man für sie bitten kann. Elementare Verbundenheit weist immer auch auf eine Grundpassivität. In der Rede von der Schöpfung wird das darin deutlich, dass die Schöpfung nicht sich selbst verdankt, sondern auf den Schöpfer weist. Damit kann die christliche Rede von der Schöpfung eine fundamentale Dimension der Wirklichkeit zum Ausdruck bringen.
Thesen von Helmut Fink:
- Leben in Evolution
Die Geschichte des Kosmos, unserer Erde und die Entstehung und Entwicklung des Lebens auf ihr sind naturwissenschaftlich erforschbar und naturalistisch verstehbar. Als überaus fruchtbar hat sich dabei das evolutionäre Erklärungsschema aus Ressourcenknappheit, Reproduktion, Mutation und Selektion erwiesen. Alle Lebensformen sind Produkt der Evolution.
- Ganzheitliches Menschenbild
Nicht nur die intellektuellen und praktischen, sondern auch die ethischen, ästhetischen nd sozialen Fähigkeiten des Menschen sind evolutionsbiologisch erklärbar: Empathie und Kooperation boten und bieten entscheidende Überlebens- und Fortpflanzungsvorteile.
- Kein Gott
Evolution braucht keinen Gott. Nichts spricht für eine planende personale Intelligenz hinter dem Evolutionsgeschehen, aber Unvollkommenheiten und „Designfehler“ in der Natur sprechen dagegen. Die Vorstellung eines Schöpfergottes wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet.
- Überholte Mythen
Ebenso wie die Schöpfungsmythen anderer Kulturkreise haben sich auch die biblischen Erzählungen als Spekulationen unwissender Zeitalter erwiesen. Sie drücken menschliche Bedürfnisse und Sehnsüchte nach Geborgenheit und Lebenssinn aus, und zwar im kulturellen und politischen Kontext ihrer Zeit, nicht unserer Zeit.
- Theologie im Rückzug
Die christliche Theologie hat auf den Druck der Aufklärung mit mannigfachen Rücknahmen und Umdeutungen reagiert. Der Anschein einer Kontinuität der Verkündigung ist jedoch brüchig geworden. Übrig bleibt oftmals ein Bekenntnis ohne Faktenbasis.
- Weltanschauliche Wunschbilder
Viele Versuche, religiöse Aussagen und evolutionäre Naturbeschreibung miteinander zu vereinbaren, klingen zunächst sympathisch, weil sie sich vom Fundamentalismus abgrenzen. Meist stülpen sie dem wissenschaftlichen Naturverständnis aber lediglich metaphysische Deutungen über und ersetzen Gottesbilder durch Naturbilder als Projektionsfläche menschlicher Wünsche.
- Der Mensch in der Natur
Selbstverständlich ist die Natur größer als der Mensch, deren Teil er ist. Unsere essentielle Abhängigkeit von einer intakten Umwelt ist Ausdruck unserer evolutionären Anpassung an diese Umwelt. Nach humanistischer Auffassung tragen wir Verantwortung für deren Bestand und Lebensfreundlichkeit, jedoch nicht vor einer äußeren Instanz, sondern im eigenen Interesse der Menschheit und zukünftiger Lebensformen.
Thesen von Frank Vogelsang
- Die Welt als Schöpfung Gottes
Die biblischen Texte beschreiben die Welt als Schöpfung Gottes. Der Schöpfungsglaube ist ein unverzichtbarer Teil des christlichen Glaubens. Er besagt im Kern, dass nichts, was existiert, einfach aus sich heraus existiert. Der christliche Glaube führt alles, was existiert, auf die Schöpferkraft Gottes zurück.
- Menschen sind leibliche und endliche Wesen
Menschen sind endliche, verletzliche und bedürftige Wesen. Der Mensch kann Bereiche der Welt objektivieren, er kann auch sich selbst objektivieren und sich als Exemplar einer Spezies beschreiben. Doch ist diese Beschreibung unvollständig, denn der Mensch ist als leibliches Wesen immer auch das, was nicht objektivierbar ist, weil er es zugleich ist, der objektiviert.
- Evolution als Ergebnis wissenschaftlicher Theorie
Die wissenschaftliche Erkenntnis über die Entwicklung des Lebens hat in den letzten 200 Jahren große Fortschritte gemacht. Viele vormalige Rätsel konnten auf schlüssige Weise durch vielfach abgesicherte Theorien erklärt werden. Insbesondere das interdisziplinäre Zusammenwirken von Evolutionsbiologie, Genetik, Paläontologie, Physiologie und Geowissenschaften haben ein dichtes Bild von der Entwicklung des Lebens auf der Erde ermöglicht.
- Offene Fragen in der Evolutionstheorie
Zur Wahrheit gehört aber auch: Auch heute ist bei weitem nicht alles verstanden. Die Evolutionsbiologie besteht heute nicht aus einer einzigen, geschlossenen Theorie und es gibt unterschiedliche, miteinander konkurrierende Ansätze (z.B. Simon Conway Morris versus Stephen Jay Gould). Auch in den Grundlagen sind Fragen offen, etwa die Grundfrage: Was ist eine biologische Art? Diese Feststellung bezweifelt nicht die Erkenntniskraft der Wissenschaft, sie verhindert aber deren Mystifizierung.
- Die Rede von der Schöpfung ist keine wissenschaftliche Theorie über die Welt
Die biblischen Texte dürfen aber nicht als theoretische Weltdeutung missverstanden werden. Gott ist keine Variable für Unverstandenes. Die biblischen Texte bieten keine alternativen Theorieangebote zu den naturwissenschaftlichen Theorien, sie sind dafür zu vielfältig und bilden keine konsistente Theorie. Schon der zweite Schöpfungsbericht ist völlig anders als der erste. Wer auch immer die Texte zusammengestellt hat, hatte keine Absicht, eine geschlossene Theorie zu bieten. Eher deuten die unterschiedlichen Erzählungen auf unterschiedliche Aspekte der Wirklichkeit, ohne einen Vollständigkeitsanspruch zu erheben.
- Die Rede von der Schöpfung setzt Beteiligung voraus
Die christliche Rede von der Schöpfung versteht man nicht, wenn man objektiv, wie ein Roboter unbeteiligt auf die Welt schaut. Man kann sie verstehen, wenn man sich selbst als abhängiges Wesen erkennt, das auf Nahrung, auf Wasser, auf eine intakte Umwelt angewiesen ist. Menschen sind abhängige Wesen. Die Rede von der Schöpfung ist eng verbunden mit Dankbarkeit für das Leben, das man hat oder auch mit der Klage, wenn Leben bedroht ist.
- Die Rede von der Schöpfung weiß um die Grenzen objektiver Erkenntnis
Die Wirklichkeit als Schöpfung ist gerade auch dann erkennbar, wenn man mit dem Geheimnis von Leben konfrontiert ist. Ein Mensch, der alle genetischen, biochemischen und physiologischen Dinge verstanden hat, kann trotzdem Ehr-furcht bei der Geburt eines Kindes empfinden. Ein Kind ist immer mehr als nur ein Exemplar einer Gattung. Die Wirklichkeit kann in solchen Momenten zu einem Ort der Offenbarung des Handeln Gottes werden.