Wenn ein Krieg ausbricht, herrschen andere Verhältnisse als in Friedenszeiten. Je länger ein Krieg dauert, desto mehr zwingt er den beteiligten Gesellschaften seine Logik auf. In dieser Logik des Krieges ist vor allem eine Schlussfolgerung dominant: Der Zwang zur Eskalation. Alle Handlungen sind direkt oder indirekt darauf ausgerichtet, noch umfangreichere folgen zu lassen. Diese Logik war auch schon in Syrien und in Tschetschenien zu beobachten, nun mit erbarmungslosen Zwang, auch in der Ukraine.
Die Logik der Abschreckung
Schon der Aufmarsch der Russen war eine Vorwegnahme der Eskalation. Nach westlicher Beobachtung hat die russische Armee immer mehr schwere Waffen an der Grenze der Ukraine stationiert. Darauf hin haben die USA und einige weitere Verbündete die Lieferungen von Abwehrwaffen erhöht. Aber das alles folgte noch der Logik der Abschreckung. Waffen, so kann man argumentieren, wurden geliefert, damit es gerade nicht zu einem offenen Konflikt kommt. Gerade die westliche Argumentation ist nachvollziehbar: Wie will man einen offenkundigen Aggressor, Russland, daran hindern, offene Gewalt gegen ein anderes Land auszuüben? Androhung aller Arten von Sanktionen wie auch die Lieferung von Waffen sind dazu da, den status quo des fragilen Friedens zu erhalten. Doch ist auch diese Logik schon höchst gefählich. Denn die Abschreckung kann auch misslingen und dann sind alle Schritte, die die Abschreckung größer gemacht haben, vorbereitende Schritte, den folgenden offenen Krieg größer zu machen.
Die wechselvollen Entwicklungen in einem Krieg
Das ist nun in der Ukraine geschehen. Russland hat trotz aller Ankündigungen von scharfen Sanktionen, trotz der größt möglichen Drohkulisse mit aller Macht angegriffen. Ein offener Krieg tobt seit Wochen. Das Geschehen war bislang wechselhaft: Erst schien es, als könne sich die russischen Übermacht brachial durchsetzen. Doch schon nach wenigen Tagen wendete sich das Blatt. In den westlichen Medien werden seitdem vor allem die russischen Verluste verzeichnet. Es scheint, dass der Abwehrkampf der Ukrainer erfolgreich ist. Sind das die Vorboten zu einem Friedensschluss?
Keine Kompromisse: Sieg oder Niederlage
Das ist noch lange nicht der Fall, jetzt greift offenkundig die erbarmungslose Logik des Krieges erst richtig durch. Der Krieg ist ein offener Kampf um Sieg oder Niederlage, um Leben oder Tod. Gerade aber wenn es um Alles oder Nichts geht, ist folglich kein Einsatz zu hoch. Gerade wenn Kompromisse ausgeschlagen werden und Friedensverhandlungen nur Alibi Veranstaltungen sind, greift die Logik, den Einsatz immer weiter zu erhöhen. Solange die Situation auf dem Schlachtfeld noch unklar ist – und das ist es in der Ukraine noch auf längere Zeit, beide Seite verfügen über sehr große Ressourcen, die Russen durch ihre Armee, die Ukrainer durch die Lieferungen und Unterstützung des Westens – solange kann die Logik der Eskalation greifen. Wenn die aktuelle Situation nicht nach einem Sieg aussieht, müssen beide Seiten eben den Einsatz von Waffen erhöhen. Das ist auch Schritt für Schritt geschehen und es wird weiter geschehen, erbarmungslos in der ihm ganz eigenen Logik des Krieges.
Schritt für Schritt in die Eskalation
Zuerst haben die westlichen Staaten kleinere Waffensysteme, vor allem Defensivwaffen geliefert. Dann war zu lesen, dass Großbritannien auch größere Waffen geliefert hat zur Abwehr von Flugzeugen und Schiffen. Die Russen lassen währenddessen aus dem weiten Land weitere Kolonnen von Panzern auffahren. Ihr Waffenarsenal ist groß, niemand möchte wissen, was die Militärs für Pläne haben, wenn die konventionellen Streitkräfte sich nicht durchsetzen können. Nun hat die NATO offenkundig beschlossen, auch größere Systeme, Panzer und anderes Großgerät zu liefern. Sehenden Auges verwandelt sich die Ukraine immer mehr in ein Schlachtfeld.
In der Logik des Krieges ist die unschuldig beteiligte und leidende Bevölkerung nur noch eine Randgröße. 4 Millionen Menschen sind geflohen, das heißt aber, auch, dass noch fast 40 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer im Lande sind! Was soll da werden?
Der Krieg entfaltet seine eigene Dynamik und die ist in der Tat unerbittlich. In der aktuellen Debatte um eine protestantische friedensethische Position ist Selbstkritik und Zurückhaltung mit gut gemeinten Ratschlägen angesagt: Hier mein Text dazu:
https://www.zeitzeichen.net/node/9676
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Lieber Frank Vogelsang,
danke für diesen sehr nachdenklich machenden Beitrag. Die „erbarmungslose Logik des Krieges“, den Einsatz immer weiter zu erhöhen – selbst unter Einschluss von Kriegsverbrechen – ist keine Eigenschaft des Krieges, sondern des menschlichen Verhaltens in Konfliktsituationen. Dazu hat Bernhard Verbeek ein sehr wichtiges Buch geschrieben: „Die Wurzeln der Kriege. Zur Evolution ethnischer und religiöser Konflikte.“ Dort lernen wir, dass Menschen in Kriegssituationen in einen „Gruppenmodus“ verfallen, in dem sie selbst keine Verantwortung mehr für ihre Kriegshandlungen verspüren, sondern ohne Vorbehalte alles dem Ziel des Krieges unterordnen. Verbeek weist nun überzeugend nach, dass dieses Verhalten evolutionär sehr tief verankert ist, so etwa auch bei anderen Primaten, z.B. Schimpansen beobachtbar ist. Nach allem, so scheint es, ist es ein „erfolgreiches“ Verhalten im Sinne des Überlebens der eigenen Gruppe, Ethnie, Ideologie usw. Und doch wäre Resignation unverantwortlich, aber wir sollten uns nicht darüber täuschen, welch ungeheure Herausforderung es ist, Frieden zu bewahren. Die Welt, in der wir gemeinsam leben wollen, ist voll von Konfliktpotentialen, aus denen heraus wir Menschen erbarmungslos Krieg zu führen drohen.
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