Die israelisch-französische Kultursoziologin Eva Illouz beschäftigt sich in ihrem neuen Buch „Undemokratische Emotionen. Das Beispiel Israel“ mit den Grundlagen gegenwärtiger Phänomene des politischen Populismus. Es geht in ihrer Untersuchung, wie der Titel zeigt, in erster Linie um Israel unter der Regierung von Benjamin Netanjahu. Aber die Autorin verbindet mit ihr die Absicht, etwas Allgemeingültiges zu populistischen Bewegungen in modernen Gesellschaften zu sagen.
Emotionen in der Politik
Aber wieso setzt sie bei Emotionen, bei Gefühlen an? Sollte es in populistischen Bewegungen also allein um Gefühle gehen, während vernünftige Menschen einer Politik der Argumente folgen? Das wäre ein verbreitetes Klischee und zu einfach gedacht. Politisch relevante Emotionen haben alle Menschen unabhängig ihrer politischen Einstellung. Emotionen sind Ausdruck von Bindungsverlangen und Ausdruck von bestimmten Bindungen, die Menschen eingehen. Sie werden gesellschaftlich geformt. In gewisser Weise zeigen die Emotionen die nach wie vor bestehende Bedeutung von Verbundenheit von Menschen untereinander, gemeinsame Emotionen verbinden in starker Weise.
Emotionen sind Ausdruck ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse
Illouz ist dafür bekannt geworden, dass sie Gefühle, auch solche intimen wie die romantische Liebe, mit einer kritisch-soziologischen Analyse der spätkapitalistischen Gesellschaft verbindet. Solche Gefühle, so die gängige Meinung, sind authentische Erfahrungen von Individuen, sie bürgen für Wahrheit: Was ich fühle, ist wahr. Das ist geradezu programmatisch für spätkapitalistische Gesellschaften: Authentizität findet sich in den Gefühlswelten der Individuen.
Aufklärung über politische Emotionen
Doch genau das ist die große Gefahr im Umgang mit politisch relevanten Emotionen. Wenn Menschen sie als authentische und aufrichtige Regungen verstehen, sind sie nicht mehr in der Lage sich kritisch zu ihnen zu verhalten. Das große Problem ist, dass die meisten Menschen ihre Gefühle nicht im Zusammenhang mit einer gesellschaftskritischen Analyse dekodieren. Genau diese Kritik will Illouz mit ihrem Buch herausarbeiten. Grundlegend ist dabei, die Gesellschaft als eine kapitalistisch dominierte Gesellschaft zu beschreiben. Der Vorrang des Marktes verformt nicht nur gesellschaftliche Beziehungen, sondern auch die Gefühle, die die Menschen mit ihnen verbinden. In einer gewissen Weise steht immer auch die Vereinzelung in modernen Gesellschaften im Hintergrund der Analysen.
Emotionen zwischen Erfahrung und Verführung
Politische Emotionen entstehen aus einer Mischung aus eigenen Erfahrungen und politischer Beeinflussung. Diese Mischung macht es, dass es auch bei der Analyse populistischer Einstellungen nicht leicht ist, wahre Emotionen von falschen zu unterscheiden. Illouz zieht es vor, nicht von falschen, sondern von fehlgeleiteten Emotionen zu sprechen. Denn die sozialen Erfahrungen sind nie einfach falsch. Fehlgeleitet sind sie, wenn populistische Interpreten und Verführer sie in eine bestimmte Richtung drängen.
Die vier wichtigsten populistischen Emotionen
Illouz identifiziert vier hauptsächliche Gefühle, die in populistischen Bewegungen von Bedeutung sind: Angst, Abscheu, Ressentiment, und Liebe zur Nation. Angst entsteht bei einer existentiellen Bedrohung von außen oder von Kräften innerhalb einer Gesellschaft. Populistische Kräfte schüren gerade diese Angst, zumeist unter massiver Verzerrung der Realität. Abscheu wiederum führt zur Ablehnung von Menschen, die anders sind, die anders aussehen. Die Schemata neigen zu klaren Freund-Feind Unterscheidungen. Ressentiment richtet sich gegen Ungleichheit in der eigenen Gesellschaft, es geht um ein erlebtes „Unten“ gegen die da „Oben“. Die Liebe zur Nation ist die Emotion, die mit den negativen Abgrenzungen korrespondiert: Das Eigene, vertreten durch die Nation, wird dem Fremden gegenüber vorgezogen.
Emotionen in der Politik müssen thematisiert werden!
Die Studie von Eva Illouz ist ein wichtiger Beitrag zu dem Verständnis moderner Gesellschaften. In der anti-populistischen Politik wird gerne aus Vernunftgründen argumentiert und rationalisiert. Dies ist auf der einen Seite dringend gefordert und doch zugleich eine Gefahr, weil diese Haltung dazu neigt, die politische Bedeutung von Emotionen zu unterschätzen. Emotionen gibt es aber in allen politischen Richtungen.
Emotionen in der Klimapolitik
Welche Emotionen etwa dominieren in der Klima Diskussion? Die Angst ist schnell zu identifizieren, doch wie steht es mit Ressentiment, mit Abscheu, mit dem Bedürfnis nach einer Einbindung sowohl auf Seiten der Klimaproteste wie der Klimaleugner? Kann es sein, dass auch hier die Emotionen eine viel größere Macht haben und dass sie in den bestehenden Diskursen der Klimapolitik ungenügend repräsentiert sind? Die Untersuchung von Eva Illouz weist den Weg, den man auch in anderen Politikbereichen begehen muss.