Klimawandel: Aufregung wegen 16 Cent, ernsthaft?

Die gesellschaftliche Debatte um eine künftige Klimapolitik nimmt immer fragwürdigere Formen an. Es zeichnet sich eine schon länger existierende, hoch problematische Parallelentwicklung des öffentlichen Bewusstseins ab.

Der Ernst der Lage

Da ist zum einen die Rede von der drohenden Katastrophe wegen einer irreversiblen Erhöhung der durchschnittlichen Temperatur der Erdatmosphäre mit all denen damit einhergehenden negativen Folgen für Umwelt, Tiere, Menschen. Spätestens mit dem Auftreten von Greta Thunberg gibt es eine breite öffentliche Unterstützung der Warnungen vor einer Klimakatastrophe. „I want you to panic“ – dieser Slogan von Greta Thunberg hat viele Menschen erreicht und bewegt. Seit 2019 ist in schneller Folge Unerhörtes geschehen. Die großen Automobilkonzerne vollziehen einen scharfen Schwenk in Richtung E-Mobility. Die Bundesregierung verabschiedet ein Klimaschutzgesetz, dessen mittelfristiges Ziel von 55% CO2 Reduktion bis 2030 in diesem Jahr noch einmal deutlich verschärft wird auf 65%. Die Europäische Union fordert ebenfalls EU-weit eine Reduktion von 55% CO2 bis 2030. Das Bundesverfassungsgericht rügt dennoch die bisherigen Pläne, weil sie nicht konkret genug seien und künftigen Generationen zu viel Lasten übertragen und somit ihre Freiheit beschneiden. Weitere Gerichtsurteile wie das in den Niederlanden folgten. All dies zusammen sind weitreichende Entscheidungen, die die künftige Politik erheblich unter Zugzwang setzen. Und doch finden diese Entscheidungen eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Diese Zustimmung geht weit über das Potenzial der Wählerinnen und Wähler der Grünen hinaus. Auch sind künftige Bundesregierungen durch die Vorgaben gebunden, unabhängig davon, welche Parteien regieren.

Weitreichende Maßnahmen sind notwendig

Einige Studien sind in letzter Zeit der Öffentlichkeit vorgestellt worden, die Skizzen für eine künftige Klimapolitik entwerfen, etwa die Agora- Studie Klimaneutrales Deutschland 2045 oder die Studien der internationalen Energieagentur NetZero by 2050. Diese Studien zeigen deutlich, dass erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Ziele zu erreichen. Für Deutschland bedeuten die bisherigen Beschlüsse, dass die Höhe der CO2 Einsparungen von 1990 bis 2019 in gleicher Höhe bis 2030 erreicht werden soll. Das bedeutet eine Verdreifachung (!) der Geschwindigkeit der Einsparungen. Wenn man bedenkt, das in den ersten Jahren die Einsparungen recht einfach waren, weil alte Industrieanlagen der DDR geschlossen oder modernisiert wurden und leichte Effizienzsteigerungen längst durchgeführt worden sind, dann kann man ermessen, welche Aufgabe in den nächsten 10 Jahren bewältigt werden muss.

Aber kann der Alltag nicht einfach weiter gehen?

Bislang ist das gesellschaftliche und alltägliche Leben von den Einsparungen kaum tangiert worden. Im Gegenteil: Die Flüge wurden zahlreicher, die Autos schwerer. Die Reduktionen erfolgten meist technischer Art. Die Effizienz der Energieproduktion und der -nutzung wurde verbessert, alte Technologien wurden ausgemustert, die Erschließung erneuerbarer Energien wurde ausgebaut. Auf diesem Weg werden wir weitergehen müssen. Doch es wird bei weitem nicht reichen, allein auf technische Lösungen zu setzen.

Dieser Widerspruch ist politischer Sprengstoff – die 16 Cent als Beispiel

Und hier kommt ein eklatantes politisches Problem ins Spiel. Denn so sehr es eine große allgemeine Unterstützung der Klimaziele gibt, so wenig ist die Bereitschaft ausgeprägt, auch die eigenen Erwartungen und Formen des Lebenswandels auf den Prüfstand zu stellen. Irritierend ist zu beobachten, dass aktuell schon kleinere Veränderungen große Empörungswellen schlagen. 16 Cent mehr für den Liter Benzin? Das ist sogar noch innerhalb der Marktpreis-Schwankungen der letzten Jahre! Und doch die Empörung. Es geht mir hier, um es deutlich zu sagen, nicht um die Frage des sozialen Ausgleichs. Der muss sein, Veränderungen allein zu Lasten der ärmeren Bevölkerung und die Möglichkeit reicher Menschen, sich von denen Einschränkungen freizukaufen, wäre unerträglich. Und doch müssen sich wohl alle in ihren Erwartungen und in ihrem Verhalten ändern, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Da sind nach Lage der Dinge, erhebliche politische Konflikte vorprogrammiert.

Kurz: Alles soll so weitergehen wie bisher, nur mit wenigen CO2 Ausstoß! Das aber wird nicht funktionieren. Es ist wichtig, sich noch einmal die Größe des Vorhabens vor Augen zu führen: Energie ist die Existenzgrundlage jeder menschlichen Gesellschaft. Vor 200 Jahren begann das fossile Zeitalter mit all den Folgen, die wir jetzt erahnen. 10000 Jahre vorher in den agrarischen Kulturen ist in Sachen Energiequellen nichts wesentlich Neues geschehen. Die Technologien des fossilen Zeitalters verstärkten etwa auch die Individualisierung, von der hier im Blog viel die Rede ist. Es ist naheliegend, dass in einer postfossilen Welt Formen sozialer und ökologischer Verbundenheit stärker in den Mittelpunkt rücken. Aber dazu gibt es allerhöchstens kleinere Versuche und Ansätze.

Das fossile Zeitalter soll nun in kürzester Zeit, in wenigen Jahren beendet werden und alles soll so weiterlaufen wie bisher? Die künftige Politik hat sich mit den Klimazielen physikalische Grenzen auferlegt. Diese lassen sich nicht allein mit einer richtigen Gesinnung erreichen. Die Folgen werden uns alle betreffen.

Autor: Frank Vogelsang

Ingenieur und Theologe, Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland, Themenschwerpunkt: Naturwissenschaften und Theologie

2 Kommentare zu „Klimawandel: Aufregung wegen 16 Cent, ernsthaft?“

  1. Beim Klimawandel ist es wie bei vielen anderen Dingen: Wohlklingenden Worten und Thesen wird solange zugestimmt, wie es nicht an den eigenen Geldbeutel geht. Wie wäre es, die Kirchensteuern zu senken, damit Kirchenmitglider gerne die höheren Energiekosten tragen? Würden kirchliche Mitarbeiter dann auch eigene Gehaltseinbussen akzeptieren?
    Thomas Metzner
    Königswinter

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    1. Der Geldbeutel ist eine Schranke, die Veränderung von Verhalten eine andere. Aber meiner Ansicht nach wird der Wandel nicht ohne erhebliche Verhaltensänderung möglich sein. Die Halbierung der CO2 Werte in 8 Jahren ist abenteuerlich viel. Wie soll das gelingen? Da scheinen 16 Cent doch eher eine Randbemerkung. Ganz wohltuend übrigens: Der CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Brinkmann hat deutlich gemacht, dass das kommt, egal unter welcher Regierung. Wer anderes verspricht, müsste schon zaubern können.

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