Russland hat nun die Gas Pipelines stillgelegt. Welche Folgen hat das für unseren Lebenswandel, für unsere Gesellschaft? Das ist tatsächlich sehr schwer abzuschätzen. Denn wir leben in einer modernen, vielfach vernetzten, hochkomplexen Gesellschaft. Wer die Diskussionen in diesen Tagen verfolgt, spürt die Unsicherheit in der Gesellschaft, eine Unsicherheit nicht nur über die Tagespolitik oder den kommenden Winter, sondern auch über die mittel- und langfristigen Wirkungen.
Ein Wort zu den Fehlern der Vergangenheit
Vor der Abschätzung der gegenwärtigen Lage ein Wort zu den drastischen Fehlern der Vergangenheit, die uns in die heutige Lage gebracht haben. Der erste Fehler war offenkundig, sehr stark auf einen politisch äußerst schwierigen Energieexporteur Russland zu setzen. Der Reiz der leichten und preiswerten Energieversorgung, die nicht ganz so klimaschädlich ist wie Kohle, war zu groß. Preiswerte Energie ist für ein Hochindustrie- und Exportland von großer Bedeutung, es senkt die Produktionskosten. Der zweite mindestens ebenso große Fehler war, dass der Ausbau der Energiegewinnung der Zukunft, der regenerativen Energien in den 10er Jahren massiv vernachlässigt worden ist. Der Ausbau der Photovoltaik brach zu Beginn des Jahrzehnts ein, der Ausbau der Windenergie in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Stattdessen wurde auch angesichts der offen aggressiven Politik Russlands Nordstream 2 beschlossen und zügig gebaut.
Unsere aktuelle Situation
Nun also liegt eine Zeit der Energiearmut vor uns, Deutschland muss mit weniger Energie auskommen. Die relative Energiearmut wird auch eine geraume Zeit anhalten. Die Anteile der Energieversorgung aus Russland war noch 2021 erheblich. Die Zufuhr von russischer Kohle und von russischem Öl wurden schon durch die Sanktionen zuvor gedrosselt. Unter den Primärenergieträgern hat Erdgas in etwa den Anteil von einem Viertel der Gesamtversorgung. Davon wiederum die Hälfte war bis zum letzten Jahr Gas aus Russland. Dieser Anteil ist in den letzten Tagen fast auf Null gefallen.
Die Besonderheit der Erdgasversorgung
Wenn eine Energieexporteur wie Russland nicht mehr zur Verfügung steht, ist es natürlich möglich, ihn durch andere zu ersetzen. Das ist bei Kohle und Öl auch recht leicht möglich. Für beide Energieträger gibt es ausgebaute weltweite Handelsstrukturen, es gibt einen Weltmarkt, auf dem weitere Käufe möglich sind. Die Infrastruktur für die Versorgung ist flexibel, Züge und Schiffe transportieren Kohle und Öl an nahezu beliebige Orte. Die Reduktion von russischem Öl und von russischer Kohle wird auch kaum diskutiert. Das ist allerdings bei Erdgas anders. Größere Mengen lassen sich als Flüssiggas transportieren oder durch Röhren senden. Die Umwandlung in Flüssiggas ist kompliziert und erfordert wiederum eine größere Logistik und Infrastruktur. Deutschland hat in der Vergangenheit auf die Versorgung durch Röhren gesetzt. Röhren lassen sich aber nicht schnell verlegen oder neu legen. Insofern ist das System viel starrer als bei Kohle und Öl. Das heißt: Erdgas kann erstens nicht so schnell ersetzt werden nd zweitens wird jeder Ersatz teurer und führt zu einer Verteuerung der Energieversorgung.
Akuter Energiemangel, höhere Preise
Energiearmut kann sich in akutem Energiemangel und in höheren Preisen äußern. Wenn ein eklatanter Energiemangel entsteht, wirkt das unmittelbar auf die hochkomplexen Versorgungssysteme zurück. Reicht die Energie oder fallen bestimmte Teile des Versorgungssystems im Winter aus? Die Bundesnetzagentur berät ja auch über Notfallpläne, um möglichen Schaden zu reduzieren. Eine akute Unterversorgung ist eine reale Gefahr. Dann potenziert sich der Schaden. Die aktuelle Preisentwicklung, die exorbitanten Steigerungen haben vor allem mit Ungewissheit und Spekulation zu tun, ob ein solcher eklatanter Mangel eintritt.
Was tun?
Gegen einen solchen drohenden Versorgungsausfall gibt es zwei Maßnahmen: Energie einsparen und Energie substituieren. Ersteres ist die beste aller Möglichkeiten. Sie hat positive Effekte auf den Klimawandel, sie schafft vielleicht dauerhaft ein verändertes Verhalten im Alltag, sie hilft durch verringerte Nachfrage zu einer Preissenkung. Die zweite Maßnahme verhindert auch einen akuten Ausfall, sie führt aber auch zu deutlich höheren Kosten. Und sie kann nicht so schnell zum Zuge kommen, weil Gas in der Infrastruktur nicht einfach durch Öl oder Kohle zu ersetzen ist.
Trotz aller Maßnahmen ist Energiearmut unausweichlich
Beide Maßnahmen aber können eine Energiearmut nicht verhindern, nur lindern. Wir werden nicht so schnell alternative Energiequellen im ausreichenden Umfang erschließen können. Welche Folgen hat das jenseits der katastrophischen Szenarien? Auf jeden Fall wird die verfügbare Energie auf lange Sicht deutlich teurer, auch mit einer LNG Gas Infrastruktur. Schon das hat erhebliche Auswirkungen auf das Industrie- und Exportland Deutschland. Die Produktion von energieintensiven Gütern wird unter Druck geraten. Die erhöhten Preise werden wirtschaftliche Verwerfungen zur Folge haben. Der einzige langfristige Ausweg daraus ist langfristig nur der radikale Ausbau erneuerbarer Energiequellen. Aber das dauert viele Jahre.
Gegen idealistische Tendenzen: Energie ist auch heute eine existentielle Grundgröße
In dieser Situation zeigt sich, dass Energieversorgung eine elementare Dimension auch einer hochmodernen Gesellschaft darstellt. Die Bundesregierung kann auch mit noch so viel Geld, Energie nicht ersetzen. Energie ist eine existentielle Grundgröße. Energiearmut ist deshalb auch eine bedrohliche Situation. Wir haben das lange unterschätzt. Da gibt es übrigens eine erkennbare Parallele zu unserem Verhältnis zur Landwirtschaft. Wir lebten viele Jahre in einem Energiereichtum, in einer Situation, in der Energie immer in größerem Umfang zur Verfügung stand als wir sie brauchten. Die gesellschaftlichen Diskussionen haben einen idealistischen Zug, sie unterschätzen die materiellen und damit auch energetischen Bedingungen des basalen Lebens (das gilt eigentümlicher Weise auch für die Börsen). Der richtige Wille und der erfinderische Geist machen aber nicht alles möglich. Wir waren zu leichtfertig, glaubten uns geschützt vor einer Energiearmut. Sonst hätten wir sonst den Ausbau regenerativer Energien viel entschlossener vorangetrieben.