(2) Hoffnung, die verzagte Schwester des Optimismus?

Was zeichnet Hoffnung aus? Immer wieder wird gesagt, Menschen könnten heute kaum noch Hoffnung haben, weil doch die Aussichten so schlecht sind. Aber was meint das? Heißt das im Umkehrschluss, dass Hoffnung dann besonders stark und kräftig ist, wenn die Aussichten gut sind? Das wirkt wie eine Trivialität und ist auch eine. Wenn der Blick auf die Zukunft gut ist, wenn es sicher scheint, dass sich die Verhältnisse zum Guten wendet, braucht es dann noch Hoffnung?

Grenzen des Wissens bei Bloch

Im letzten Beitrag ging es um einige Beobachtungen zu Ernst Bloch. Es ist doch sehr aufschlussreich, dass sein Ansatz der Hoffnung gerade mit einer grundlegend unbekannten Gegenwart, dem Dunkel des gelebten Augenblicks korrespondiert. Hier taucht ein Mangel auf. Hoffnung ist gerade dann stark, wenn wir etwas nicht wissen. Bei Bloch ist es die Gegenwart, die wir nicht genau kennen. Denn die Gegenwart ist seiner Ansicht nach nicht ausmessbar, sondern verändert sich ständig, sie gärt, in ihr formt sich Zukünftiges. Hoffnung hat also mit einem Nichtwissen zu tun, das durch die unablässige Veränderung der Welt bestimmt ist. Die Welt selbst ist im steten Wandel. Dementsprechend kennt unser Bewusstsein einen dunklen Punkt. Es fällt leichter, etwas mit Abstand zu beurteilen als aus dem unmittelbaren Geschehen heraus, deshalb ist der Augenblick immer auch unverstanden.

Geschichte als Tendenzwissenschaft

Nach Bloch ist der Wandel der Welt nicht willkürlich, allein durch einen blinden Zufall bestimmt. Es gibt Tendenzen, die sich aus der Geschichte ablesen lassen. Hier knüpft Bloch an den klassischen Marxismus an. Aber auch dann bleibt vieles unverstanden. Diese konzeptionelle Offenheit des Ansatzes von Bloch bietet eine reiche Verbindung zur Kultur, zur Musik und Dichtkunst, weil er ihnen zubilligt, mehr über die Zukunft zum Ausdruck bringen zu können als die simple Berechnung.

Die Ideologie der Berechenbarkeit

Die Einsicht in die sich wandelnde Welt und in unser begrenztes Wissen hilft, sich nicht ganz den Berechnungen und Prognosen zu überlassen und sich an sie zu klammern. Viele Menschen unserer Zeit neigen dagegen dazu, die Welt im Großen und Ganzen für berechenbar zu halten. Dementsprechend gehorcht die Welt festen Gesetzen und entwickelt sich geradlinig in die Zukunft wie auf Schienen. Gäbe es nur Computer, die groß genug wären, gäbe es nur genügend Daten, könnten alle zukünftigen Weltzustände berechnet werden. Und da die Fähigkeit zu Simulationen im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz große Fortschritte gemacht hat, rückt das Ziel einer berechenbaren Welt scheinbar immer näher.

Das ist nach Bloch ein radikaler Irrtum. Es ist im Übrigen auch eine Fehlinterpretation der wissenschaftlichen Beschreibungen der Wirklichkeit, die an vielen Stellen keine letzten Antworten kennen, sondern offene Frage haben. Die Einsicht in den Wandel der Welt wird von einer Unwissenheit begleitet, die nicht aufgehoben werden kann. In Zeiten der Berechnungen und Prognosen wird diese fundamentale Unwissenheit verdrängt. In dieser Zeit gibt es auch wenig Platz für Hoffnung. Der Grund ist aber nicht in erster Linie, dass die Zukunft so düster dasteht, sondern, dass die Ahnung von den Grenzen des eigenen Wissens geschwunden ist.

Ist die Prognose der Hoffnung vorzuziehen?

In einer durchgerechneten Welt gälte: Eine fundierte optimistische Prognose ist auf jeden Fall besser als eine diffuse Hoffnung. Hoffnung ist eher ein Zeichen für eine beklagenswerte Situation: Gibt es keine gute Prognose, lassen sich die verfügbaren Daten nicht mit der Aussicht auf eine gute Zukunft verbinden, dann bleibt nur eine (vage) Hoffnung. Hoffnung ist Optimismus in düsteren Zeiten. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“ Aber sie stirbt eben auch. Hoffnung wird dann schnellt zu einer Haltung, sich eine Sache schön zu reden. Dann ist Hoffnung angesichts einer schlechten Prognose so trivial wie auf der anderen Seite ein Optimismus angesichts einer guten Prognose.

Doch, wenn die Wirklichkeit in ihrem Wandel Untiefen hat, die sich nicht einfach ausloten lassen, wenn wir Menschen bei aller Technik und Wissenschaft über begrenztes Wissen verfügen, wenn unsere Gegenwart immer von einem Schleier des Unverstandenen begleitet wird, dann kann die Hoffnung eine ganz andere Rolle spielen. Sie wird zum Ausdruck einer Haltung, die der Gegenwart jene Tendenzen abspürt, die in eine bessere Zukunft weisen. Diese Tendenzen gibt es immer, in jeder noch so verfahrenen Situation. Dann ist die Hoffnung nicht die verzagte Schwester der Prognose, sondern eine ganz eigene existentielle Kraft, die nicht davon lässt, dass es gute Tendenzen in der Geschichte gibt, die es zu verwirklichen gilt.

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Autor: Frank Vogelsang

Ingenieur und Theologe, Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland, Themenschwerpunkt: Naturwissenschaften und Theologie

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