Wie den assistierten Suizid regeln?

Die Diskussion um den assistierten Suizid steht offenbar im Deutschen Bundestag kurz vor einer Entscheidung. Der Bundestag wird sich wohl noch vor der Sommerpause mit den unterschiedlichen Entwürfen zur Regelung des assistierten Suizids befassen und abschließend entscheiden. Damit kommt eine mehrjährige Debatte zu einem vorläufigen Ende.

Die Novellierung des § 217 StGB im Jahr 2015

Die aktuelle Diskussion begann 2015. In diesem Jahr hat der Bundestag den Paragraphen 217 des Strafgesetzbuches überarbeitet und dort insbesondere jene Handlungen unter Strafe gestellt, die „geschäftsmäßig“ Selbsttötung gewähren, verschaffen oder vermitteln. Dies ist durch die Abgeordneten mit der Absicht verbunden worden, die Normalisierung und Kommerzialisierung, die Entstehung von Sterbehilfevereinen oder -organisationen mit Gewinnabsichten zu unterbinden.

Einspruch des Bundesverfassungsgerichts 2020

Doch gegen die Regelung wurde geklagt und das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil im März 2020 den Paragraphen 217 aufgehoben, er ist seit dem Urteil außer Kraft gesetzt. Die zentrale Begründung des Verfassungsgerichtes war, dass die Persönlichkeitsrechte der Suizidwilligen beschnitten werden, denn durch die Regelung würde es faktisch unmöglich, Assistenz beim Suizid zu erhalten. Das Gericht hob hervor, dass Regelungen zur Verhinderung von Wildwuchs durchaus möglich sind, diese aber nicht grundsätzlich die Assistenz verhindern dürfen.

Die gesellschaftliche Debatte

Seitdem ist klar, dass entweder der Paragraph 217 novelliert oder aber die Suizidbeihilfe auf anderem Wege neu geregelt werden muss. An der Diskussion haben sich viele Institutionen beteiligt, insbesondere auch die Kirchen und deren Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie und Caritas. Der Vortrag von Frau Prof. Sigrid Graumann anlässlich einer größeren Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland im Januar 2022 ist in diesem Video zu sehen. In der evangelischen Kirche gibt es einerseits kritische Stimmen, die von einer Normalisierung von Suizidbeihilfen warnen, einige Positionen, die die Ermöglichung von Assistenz ablehnen, andererseits aber auch verbreitet eine Unterstützung in der grundsätzlichen Ermöglichung von Suizidbeihilfen. Eine besondere Herausforderung stellt sich natürlich für kirchliche Altenheime, Pflegeeinrichtungen und die psychologische Beratung.

Anträge im Bundestag

Im Bundestag haben sich im Verlauf der Zeit fraktionsungebunden drei Gruppen von Abgeordneten gefunden, die je einen Antrag in die Debatte einbrachten. Die erste Gruppe, federführend ist der Abgeordnete Lars Castellucci, will beim Strafgesetz bleiben und führt nur genauer aus, wann die Assistenz straffrei bleibt. Dazu müssen die Beteiligten eine genau beschriebene Prozedur einhalten, die Ärztinnen und Ärzte und multidisziplinäre Teams einbindet.

Zwei andere Gruppen um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr und Renate Künast lösen ihren Vorschlag ganz aus dem Strafrecht und machen unterschiedliche Verfahrensvorschläge, wie sichergestellt werden kann, dass tatsächlich ein freier, freiverantwortlicher Suizidwunsch vorliegt. Auch hier werden Prozeduren vorgeschlagen, die unterschiedliche Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten in zeitlichen Abständen vorsehen. Diese beiden letzten Anträge sind, da sie in Grundsatzfragen einig sind, vor wenigen Tagen zusammengelegt worden.

Stimme aus der Wissenschaft

Nun haben aus der Wissenschaft heraus vier an der Diskussion Beteiligte (Rainer Anselm, Claudia Bausewein, Peter Dabrock und Wolfram Höfling) einen überraschenden weiteren Vorschlag gemacht. Sie plädieren dafür, alles beim Status quo zu belassen. Dann bliebe der alte Paragraph 217 außer Kraft und es gäbe keine weitere Regelung. Ihr Argument zielt auf die Ressourcen, die in der Praxis zur Regelung zur Verfügung stehen. Wenn einer der von den Bundestagsabgeordneten vorgeschlagenen Verfahren gewählt werden, entstehen automatisch komplexe Prozesse, die geregelt werden müssen. Damit in Deutschland flächendeckend je und je in einem Verfahren geprüft werden kann, ob ein freier Wille vorliegt, ist der organisatorische Auffand erheblich. Außerdem „normalisieren“ gerade die Verfahren den assistierten Suizid, es werden mit der Zeit eingespielte Prozeduren abgearbeitet. Sie schlagen deshalb vor, diese Ressourcen eher für die Prävention von Suizid zu investieren, sei es die seelsorgerliche Begleitung von Suizidwilligen, der Ausbau der Hospizarbeit, die Ausweitung psychosozialer Dienste. Ihr Argument beruht zudem auf einer Erfahrung: In den vergangenen drei Jahren war ja schon der Paragraph 217 des Strafgesetzbuches außer Kraft gesetzt und es hat keinen signifikanten Anstieg der Assistenz zum Suizid gegeben.

Plädoyer für den Ausbau der Suizidprävention

So ist also nun die Diskussionslage vor der Abstimmung. Es wird eine Situation entstehen, dass die Hilfe zum Suizid landesweit ermöglicht wird. Niemand ist zu dieser Hilfe gezwungen, so können kirchliche Akteure die Assistenz ablehnen. Aber der Gesetzgeber muss aber dafür sorgen, dass allen Menschen Hilfe zum Suizid grundsätzlich erhalten können. MIr scheint eine Regelung notwendig, damit es keine Normalisierung des Suizids etwa bei Krankheiten oder ähnlichem gibt. Die Erfahrungen der letzten drei Jahre können meines Erachtens nicht einfach auf die kommenden Jahrzehnte übertragen werden. Ob allerdings die Regelung innerhalb des Strafgesetzes oder außerhalb stattfindet, ist dann von minderer Bedeutung. Wichtig ist, dass die Verfahren eine restriktive Wirkung haben.

Wie auch immer die Abstimmung ausfällt, auf jeden Fall müssen mehr Ressourcen in die Suizidprävention investiert werden, darin ist den Autoren aus der Wissenschaft zuzustimmen. Eine Gesellschaft, in der der Suizid zu einem stets möglichen Ausgang wird, ist keine lebenswerte Gesellschaft. Der Suizid kann für Menschen nur ultima ratio sein. Eine verbreitete Akzeptanz des Suizids ist Kennzeichen einer Gesellschaftskrise, wie schon Bert Brecht dichtete:

In diesem Lande und zu dieser Zeit

Sollte es keine trüben Abende geben

Auch hohe Brücken über die Flüsse

Selbst die Stunde zwischen Nacht und Morgen

Und die ganze Winterzeit dazu, das ist gefährlich!

Denn angesichts der Elends

Genügt ein Weniges

Und die Menschen werfen

Das unerträgliche Leben fort.

Autor: Frank Vogelsang

Ingenieur und Theologe, Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland, Themenschwerpunkt: Naturwissenschaften und Theologie

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