In der öffentlichen Diskussion von bioethischen Themen gibt es eine Konzentration auf spektakuläre Themen. Wenn die Forschung einen Durchbruch in gentechnischen Methoden erringt, findet das über die Fachkreise hinaus große Aufmerksamkeit. Das ist auch gut so. So fand vor kurzem die Methode „CRISPR Cas“ einige Aufmerksamkeit, mit der präzise Veränderungen am Genom vorgenommen werden können. Neue Methoden ermöglichen in der Regel neue Handlungsoptionen. Im Falle von „CRISPR Cas“ stellt sich die Frage, ob man nicht auch in das menschliche Genom eingreifen sollte, etwa wenn bei einem Embryo eine monogenetische Erkrankung festgestellt wird. Der Eingriff in die Keimbahn ist bislang ein Tabu und in Deutschland per Gesetz verboten. Doch welche Richtung wird die Entwicklung nehmen, wenn erbliche Erkrankungen verhindert werden können? Wenn man aber diesem begrenzten Eingriff zustimmt, stellt sich schnell die weitergehende Frage, welche Krankheiten zu einem solchen Eingriff berechtigen. Und schon befindet man sich mitten in einer gravierenden bioethischen Debatte.
Spektakuläre Durchbrüche und schleichende Entwicklungen
Diese Diskussionen werden auch mit einiger Aufmerksamkeit öffentlich geführt. Anders ist es dagegen, wenn die Veränderungen nicht mit spektakulären wissenschaftlichen Durchbrüchen verbunden sind. Dennoch können auch konventionellere neue Technologien weitreichende gesellschaftliche Folgen haben. Das ist im Bereich der Pränataldiagnostik der Fall. Worum geht es hier? Vorgeburtliche Untersuchungen gehören zu dem Umfang einer jeden medizinischen Betreuung einer Schwangerschaft. Es geht dann zum Beispiel um die Frage, ob in der Schwangerschaft Komplikationen zu erwarten sind. Etwas anderes ist es aber, wenn der Fötus daraufhin untersucht wird, ob das Kind schon vor der Geburt erkennbare Anzeichen für eine Erkrankung hat. In früherer Zeit ist eine solche Untersuchung eher im Ausnahmefall gemacht worden, weil die Amniozentese oder die Chorionzottenbiopsie mit einem Eingriff, einer Gewebeentnahme verbunden war.
Der neu entwickelten genetischen Bluttest
Doch hier haben neuere Technologien den Eingriff wesentlich erleichtert. Zuletzt sind Untersuchungen des Blutes der Mutter etabliert worden, die es ermöglichen, auch das Genmaterial des Kindes zu untersuchen, von dem es geringe Spuren in dem Blut der Mutter gibt. Die fortschreitende Entwicklung dieser Tests bringt es mit sich, dass die genetische Untersuchung ihrerseits wesentlich genauer und auch preiswerter geworden sind. Beide Faktoren zusammen geben die Möglichkeit, dass nun sehr viel mehr schwangere Frauen untersucht werden, die zuvor in keine Risikogruppe gefallen wären. Es ist im Gespräch, dass diese Untersuchungen eine kassenärztliche Leistung werden.
Gesellschaftliche Implikationen
Die Untersuchungen sind je und je Einzelfälle, in denen sich die Betroffenen individuell entscheiden müssen. Doch kann diese Entwicklung weitreichende und gravierende Auswirkungen auf die Gesellschaft haben. Wie reagieren die werdenden Eltern bzw. die schwangeren Frauen auf die Nachricht, dass eine genetische Erkrankung bei dem Kind diagnostiziert wurde? Die Zahlen, die zur Verfügung stehen, zeigen, dass die weit überwiegende Mehrheit (bei manchen Merkalen bis zu 9/10) dann einen Abbruch vornehmen lassen. Das heißt aber, dass die weite Verfügbarkeit der Tests, ihre geringen Kosten und ihre immer besser werdende Prognosefähigkeit in der Tendenz dazu führen, dass Kinder mit bestimmten genetischen Dispositionen kaum noch geboren werden.
Über den Einzelfall kann man nur schwer ein Urteil fällen, weil es sich je und je um Gewissensnöte handelt und eine sehr schwierige Entscheidung. Doch die gesellschaftlichen Folgen von sehr zahlreichen gleichlautenden Entscheidungen für den Abbruch sind, dass die Vielfalt abnimmt. Damit wächst aber auch der gesellschaftliche Druck auf die Minderheit, die sich trotz Diagnose für das Kind entscheidet. Es entsteht in diesem Automatismus einer gesellschaftlichen Ausgrenzung von Menschen mit genetischen Erkrankungen.
Inklusive Gesellschaft?
Die Kirchen haben in den letzten Jahren den Gedanken der Inklusion mit Nachdruck befördert. Wer eine inklusive Gesellschaft will, muss insbesondere jene stärken, die von einer gesellschaftlichen Norm abweichen. Da geht es bei weitem nicht nur um die Pränataldiagnostik, sondern es geht um die Versorgung von Kindern, um die Unterstützung von Eltern, um die Ermöglichung von Bildungswegen, es geht um die Gestaltung eines möglichst eigenständigen Lebens von Menschen mit Behinderung. Hier liegen die gesellschaftlichen Herausforderungen. Wenn das gelingt, kann eine Gesellschaft inklusiver werden, das heißt, auch offener gegenüber Abweichungen. Dann ist es vielleicht auch möglich, dass sich mehr werdende Eltern für ein Kind mit genetischen Krankheiten entscheiden. Das Ziel der Inklusion ist nicht nur ein hehres Ziel von Gutmeinenden. In einer Gesellschaft, die Abweichungen von der Norm nicht toleriert, wird eine harte Gesellschaft. Die Gestaltungs- und Eingriffsmöglichkeiten werden in der Zukunft mit Sicherheit zunehmen. Welche Abweichungen nehmen wir dann noch hin und was halten wir dann nicht mehr für tolerierbar? Von dieser Entwicklung wird abhängen, in welche Richtung wir das gesellschaftliche Miteinander gestalten – als inklusive Gesellschaft oder als Gesellschaft vorgegebener Gesundheitsnormen!
Hier finden Sie ein Akademiegespräch zwischen Frau Prof. Graumann, Mitglied im Deutschen Ethikrat und Präses Manfred Rekowski zu dem Thema.
Dass so wenig über diese Problematik geredet und geschrieben wird, könnte daran liegen, dass die individuelle Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch höchst konfliktiv ist und mit starken Schuldgefühlen belastet. Die werdenden Eltern entscheiden sich aus Fürsorge für ihr ungeborenes Kind, jegliche Angebote zur Diagnostik wahrzunehmen, ohne dass sie ausreichend darauf vorbereitet werden, welche Konsequenzen bestimmte Diagnosen mit sich bringen. Besonders problematisch ist dies, wenn die Diagnose bei schon fortgeschrittener Schwangerschaft erfolgt und dann eine Entscheidung für oder gegen den Abbruch getroffen werden muss. Mit wem können sie diese Entscheidung beraten? Wer begleitet und unterstützt sie danach bei der Verarbeitung der Konsequenzen? Sie stehen damit größtenteils alleine da und das gesellschaftliche Schweigen, man könnte schon fast sagen die Tabuisierung dieses Themas, verstärkt die Einsamkeit der Eltern bei dieser Entscheidung.
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Vielen Dank für den differenzierten Beitrag zur PND. In der Tat ist es ein sehr heikles Thema, gerade weil es in der Spannung zwischen individueller Entscheidung und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verhandelt werden muss. Interessant finde ich die Rolle der Beratungspflicht bei Schwangerschaftsabbrüchen, die oft als eine Art saubere Lösung für die ethischen Dilemmata dienen soll: Wenn die Frau sich beraten lässt, ihr Wege aufgezeigt werden, auch mit einem evtl. behinderten Kind zu leben und dann noch Zeit zum Nachdenken verordnet wird, dann hat man der kritischen Reflexion genug Raum eingeräumt und den gesellschaftlichen Zwang entschärft bei gleichzeitigem Festhalten an der Unantastbarkeit der individuellen Entscheidung – so nehme ich zumindest die Argumentation wahr. Damit wird die Beratung m.E. heillos überfrachtet und die Problematik insgesamt verkürzt. Eine Beratung ist wünschenswert, aber nicht ausreichend, um der Vielschichtigkeit der Entscheidungssituation gerecht zu werden.
Die Diskussion um die Beratung und um das Recht auf Nicht-Wissen finde ich gut zusammengefasst in einem Streitgespräch und einem Artikel des Gen-ethischen Netzwerks, das ich aufgrund der informierten und klaren Beiträge schätze, obgleich es mir manchmal zu tendenziös – gegen jegliche Gentechnik gerichtet – berichtet:
https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gentests-und-genomsequenzierung/praenataldiagnostik/gegen-die-pflicht-zum-wissen
https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/praenataldiagnostik/beratung-gegen-aengste
@ Gamabus: Zur Enttabuisierung der Debatte um Abtreibungen i.A. möchte ZEIT ONLINE mit einem Schwerpunkt zum Thema „Schwangerschaftsabbruch“ beitragen und sammelt dort zur Zeit viele Artikel und Erfahrungsberichte, auch von Männern. Das Thema PND wird dort zumindest am Rande auch angesprochen:
http://www.zeit.de/thema/schwangerschaftsabbruch
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