Klimapolitik ist eine riesige kulturelle Herausforderung

Unabhängig von dem Ausgang der Bundestagswahl im Herbst steht jetzt schon fest: Die neue Bundesregierung wird in der Klimapolitik sehr schnell weitreichende Beschlüsse treffen müssen. Denn die Rahmenbedingungen sind national und international so fest gezurrt, dass sich weitere langjährige Beratungen ausschließen.

Die Herausforderungen sind dramatisch, aber in der öffentlichen Diskussion bislang kaum angekommen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht angemahnt, dass man die „unangenehmen“ Entscheidungen, also solche, die die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger einschränken, nicht einfach nach hinten verlagern darf, so dass künftige Generationen dann kompensieren müssen, was in der Gegenwart versäumt wird.

Sehr weitreichende klimapolitische Vorgaben für die kommenden 10 Jahre

Die Entwicklung hat durch nationale und internationale Festlegungen klare Vorgaben. Die zentrale Rahmenvorgabe in der EU, im Green Deal, lautet: Gegenüber 1990 soll die Reduktion von CO2 2030 55 % betragen. 2019 betrug sie 24 % Das heißt, in 10 Jahren soll mehr eingespart werden als in den 30 Jahren zuvor.

Die Rahmenbedingungen in Deutschland sind nun im Klimaschutzgesetz festgelegt, sie sollen aber nach der Intervention des Bundesverfassungsgerichts deutlich verschärft werden: Gegenüber 1990 (1251 Mio T CO2) soll die Reduktion 2030 nicht mehr 55 % sondern 65% betragen(438 Mio T CO2). 2019 betrug sie 35,7 % (805 Mio T CO2). Auch hier: in 10 Jahren soll fast so viel eingespart werden wie in den 30 Jahren zuvor.

Die Reduktionsgeschwindigkeit soll in den kommenden vier Jahren also 3 mal größer sein als die Geschwindigkeit in den letzten 30 Jahren. Dabei nehmen die Schwierigkeiten der Einsparungen zu. So konnten nach 1990 in Deutschland etliche Braunkohlekraftwerke der ehemaligen DDR geschlossen und durch modernere Kraftwerke ersetzt. Diese Reduktion ist Teil der bisherigen Bilanz. Allgemein gilt: Je mehr schon reduziert wurde, desto schwieriger werden weitere Schritte in Richtung Reduktion.

Ein Blick zurück: Was hat den bisherigen Weg bestimmt?

Das Thema des Klimaschutzes ist weder neu noch überraschend. Das macht es möglich, einen Blick zurück zu werfen, zuschauen, was in den letzten Jahren möglich war, wie die Entwicklung verlief. Ein Meilenstein war die UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992. Dort wurde die Agenda 21 beschlossen, die weitreichende Wirkungen in den öffentlichen  Debatten der 90er Jahre hatte. Nach 1998 hat in Deutschland die rot-grüne Bundesregierung weitreichende Beschlüsse gefasst, etwa im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), ein Förderinstrument für den Ausbau regenerativer Energien. Weiterhin wurden viele weitere Maßnahmen getroffen, so auch Anreize für die Reduktion des Energieverbrauchs.

Diese Maßnahmen haben durchaus eine Wirkung erzeugt: Der CO2 Ausstoß ist in Deutschland ja um mehr als ein Drittel zurückgegangen. Doch reichen die Geschwindigkeit und die Maßnahmen in keiner Weise, um die kommenden 10 Jahre zu gestalten.

Die Grenzen von technischen Lösungen

Der wahrscheinlich entscheidende Faktor ist eine starke Konzentration auf technische Innovationen. Die Reduktionen waren vielfach durch neue und alternative Technologien möglich gemacht worden. Aber kulturelle Veränderungen, das heißt auch die Veränderung im Verhalten der Menschen war sehr begrenzt. Im Gegenteil, man muss wohl von gegensätzlichen, einander widersprechenden Entwicklungen reden. Denn auf der einen Seite wurden etwa die Motoren in Automobilen immer effizienter. Auf der anderen Seite nahm das Gewicht der Automobile immer mehr zu. So genannte „Rebound“- Effekte sind nicht zu unterschätzen. Eine Reduktion durch effizientere Technik wird möglich, aber das erhöht die kulturelle Bereitschaft, die Technik vermehrt einzusetzen, was dann den Spareffekt wieder auffrisst.

Kulturelle Fehlentwicklungen der letzten 30 Jahre

3 Beispiele aus den Entwicklungen der letzten 30 Jahren machen diese zerstörerischen kulturellen und sozialen Tendenzen besonders deutlich: 1. Die Entwicklung der so genannten SUVs. Diese deutlich schwereren Automobile sind bis heute besonders beliebt, das meiste Geld verdient die Autoindustrie durch sie. Sie bewegen aber absurd viel Gewicht, um einen menschlichen Körper von A nach B zu fahren. 2. Die sehr preiswerten Flugtickets. Ebenfalls in diese Zeit fällt die drastische Ausweitung des weltweiten Flugverkehrs. Dazu gehören viele Fernreisen und Wochenendtrips innerhalb Europas. 3. Die Angebote für Kreuzfahrten. Auch hier wird sehr viel Energie aufgewendet, um einigen Menschen einen angenehmen, ortsungebundenen Urlaub zu ermöglichen. Die schwierigen sozialen Bedingungen sind bei der schlechten Öko-Bilanz noch gar nicht berücksichtigt.

All dies weist auf die größte Herausforderung der kommenden Zeit. Auf der einen Seite müssen technische Innovationen weiter vorangetrieben werden. Auf der anderen Seite aber sind tiefgreifende kulturelle Veränderungen, also Veränderungen der Verhaltensweisen in der Breite der Bevölkerung unumgänglich. Hier ist die politische und gesellschaftliche Herausforderung noch deutlich größer.

Die kulturellen Herausforderungen der Zukunft

Der ehemalige Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Uwe Schneidewind, hat in seinem Buch „Die große Transformation“ 7 thematische Cluster, sogenannte Arenen identifiziert, in denen ein gravierender Wandel notwendig ist. Allein vier dieser Arenen zeigen, wie tiefgreifend der Eingriff in Alltagspraktiken und kulturelles Selbstverständnis sein wird. Er fordert eine Wende im Konsum, eine Wende in der Mobilität, eine Wende in der Ernährung und eine Wende in der Energieproduktion. Konsumartikel sind heute durch die globalen Märkte sehr preiswert, aber oft energieintensiv in Produktion und Verteilung. Das betrifft Geräte, Kleidung, Möbel. Die Mobilitätskultur muss sich von der Automobilzentrierung abwenden und eine „massive Verkehrsreduktion“ anstreben. Die Ernährung muss von lieb gewonnenen Bequemlichkeiten (Tiefkühlkost) und kulturell tief liegenden Präferenzen (Fleischkonsum) Abstand nehmen. Die notwendige Wende in der Energiepolitik wird die erneuerbaren Energien drastisch ausbauen müssen, auch die letzten Atomkraftwerke sind zu kompensieren. Windkraftanlagen werden in den vielen Landschaften zu erdulden sein.

Ein Wandel der ganzen Gesellschaft ist notwendig

Nun zeigt eine sehr grobe Abschätzung, welche Bereitschaft und aber auch welche Widerstände in der gegenwärtigen Gesellschaft zu erwarten sind. Nach Andreas Reckwitz können in unserer Gesellschaft drei Schichten/Klassen unterschieden werden: Die Oberschicht und neue akademische Mittelschicht einerseits, die alte Mittelschicht etwa auch der Handwerksberufe andererseits, schließlich die prekäre Schicht am unteren Ende der Gesellschaft. Diese grobe Abschätzung soll weiterhin einmal annehmen, dass die Menschen, die dem Potential von 30% Grünen-Wähler zugehören, die kulturellen Veränderungen begrüßen und aktiv begleiten. Sie werden sich etwa in gleichen Teilen den beiden oberen Schichten zugehörig sein. Dann zeigt sich, wie große die Anteile der Bevölkerung sind, die noch gewonnen werden müssen. Da ist ein Anteil der Oberschicht, der sich bei allen CO2 Preisen freikaufen kann. Und da ist ein Teil der alten Mittelschicht und die prekäre Unterschicht, die Steuerungen über Preise massiv ausgesetzt sein werden.

Die kulturelle und soziale Herausforderung

In dieser Ausgangslage im Jahre 2021 stecken sozialpolitischer Sprengstoff und eine dramatische kulturelle Herausforderung. Eine der großen Fragen wird sein, ob es gelingt, weite Bevölkerungskreise über den Kreis der schon Überzeugten für einen klimabedingten kulturellen Wandel zu gewinnen. Hierauf werden sich viele zivilgesellschaftliche Kräfte und Anstrengungen konzentrieren müssen. Der Wandel, der durch äußere Vorgaben jetzt festgeschrieben ist und der nicht mehr im Belieben von politischen Akteuren steht, ist notwendigerweise ein Wandel, den die Zivilgesellschaft im Ganzen gestalten muss. Ein rein staatliches Handeln, eine Ersetzung von Technologien werden nicht ausreichen. Es geht darum, neue Bilder für gelingendes Leben im Alltag zu entwickeln. Eine entscheidende Rolle werden dabei die Formen der sozialen Verbundenheit spielen, die Entwicklung muss als kultureller auch ein sozialer Prozess sein.

Abschied vom Auenland

Der Psychologe Stephan Grünewald hat in seinem Buch „Wie tickt Deutschland“ eine Metapher eingeführt, die erhebliche Aussagekraft für die Stimmung in Deutschland des vergangenen Jahrzehnts hat: die Metapher des Auenlandes. (Am Ende dieses Textes ist ein Link zu einem Video mit einem Gespräch mit Stephan Grünewald vom November letzten Jahres.) Die Metapher ist natürlich eine Anspielung an die Saga von Tolkien „Der Herr der Ringe“. Das Auenland wird von den Hobbits bewohnt, es ist wohl gefügt. Die Hobbits sind in der Regel friedliche und freundliche Zeitgenossen. Sie leben in einer Idylle, in der es an nichts Grundlegendem fehlt. Im Großen und Ganzen ist alles in einer guten Ordnung, es gibt natürlich immer Gründe zur Klage, doch kann man mit einigem guten Willen diese Gründe beseitigen. Gerne appellieren viele Politikerinnen und Politiker in Deutschland an ein diffuses „Wir“, das dem „Wir“ der Auenlandbewohner gleicht. Gesellschaftliche Interessenkonflikte scheinen der Vergangenheit anzugehören. Dieses „Wir“ wird auch dadurch befeuert, dass dem „Auenland“ in der Terminologie von Grünewald das „Grauenland“ gegenüber steht. Das Auenland „Wir“ ist insgeheim froh, nicht dort leben zu müssen. In gewisser Weise fand aber mit diesem vorherrschenden Gefühl und „Wir“ Verständnis in der Politik eine erhebliche Entpolitisierung statt.

Wie das Auenland-„Wir“ entstand

Das Auenland Gefühl erfasst eine breite Mehrheit, wenn auch bei weitem nicht alle in der Gesellschaft, denn viele können an den Wohlstand gerade nicht partizipieren. Aber ihr kultureller Einfluss ist sehr begrenzt und kann dem Gefühl der Mehrheit wenig entgegen setzen. Das Auenland Gefühl darf nicht mit der sozialen Realität verwechselt werden. Allerdings es ist auch nicht willkürlich entstanden, die wirtschaftlichen und politischen Randbedingungen Deutschlands waren und sind tatsächlich sehr vorteilhaft und das beförderte bei einem großen Teil der Bevölkerung das Auenland Gefühl. Als starker exportorientierter Industriestandort ist Deutschlands Position innerhalb der EU unangefochten. Gleichzeitig ist der gemeinsame Euro nicht so stark wie es die alte D-Mark wäre. Das beflügelt zudem den Export in Staaten außerhalb der EU. Die guten Kontakte zu dem aufsteigenden Markt China aber auch zu dem großen Markt in den USA haben die Exporte kontinuierlich wachsen lassen. Die Wirtschaftsdaten Deutschlands waren deshalb über einen langen Zeitraum allesamt positiv. Die Arbeitslosigkeit nahm kontinuierlich ab, die Zahl der Arbeitsplätze kontinuierlich zu, hin und wieder war Deutschland Exportweltmeister. Mit keiner anderen Politikerin werden die positiven Daten assoziiert wie mit Angela Merkel. Ihr öffentliches Bild ist zu dem der mütterlichen und mit Umsicht sorgenden Kanzlerin geworden, die dafür sorgt, dass die Dinge auch für alle, für das große „Wir“ des Auenlandes gut bleiben.

Das Auenland-„Wir“ in der ersten Welle der Pandemie

Nun, in der Corona Pandemie aber gerät diese Auenland-Stimmung ins Wanken. Noch in der ersten Welle stellte sich das alte Gefühl nach einem anfänglichen Erschrecken recht schnell wieder ein. Die Inzidenzwerte waren besser als in anderen Ländern, der Lockdown wirkte schneller, das stark ausgebaute Gesundheitssystem war zu keiner Zeit ernsthaft in Gefahr einer Überlastung. Die Politik machte mit zum Teil martialischen Bildern deutlich, dass sie alle Widrigkeiten auffangen werde (Bazooka). Das Auenland will verteidigt werden. Dementsprechend stieg die Zuversicht im Sommer schnell wieder, wirtschaftliche Daten ließen den Schluss zu, dass sich der Standort Deutschland sehr schnell von dem Einbruch erholen werde. Die Politik bestärkte wiederum das diffuse „Wir“ Gefühl des Auenlandes. Man will die Herausforderungen „gemeinsam“ bewältigen. Auch hier geht es nur um ein Gefühl: Was meint dieses „Wir“ angesichts von starken Vermögensunterschieden, von sehr unterschiedlichen Partizipationschancen? Wenn Unternehmen, die Jahre zuvor viel Gewinn gemacht haben, nun vom Staat durch die Krise getragen und vor Verlusten beschützt werden, so fragt aufgrund des „Wir“ Gefühls niemand nach den Verteilungswirkungen dieser Hilfen. Jene, die zuvor die Gewinne verbuchen konnten, werden unterstützt von allen Steuerzahlern, bis sie wieder Gewinne für sich verbuchen können. Wie steht es mit denen, die in dieser Gesellschaft keine Gewinne machen können?

Die zweite Welle der Corona Pandemie

Doch dann kam im Herbst die zweite Welle. Nun kommen zu viele Mängel zum Vorschein, um sie noch in das Auenland-Gefühl integrieren zu können. Die öffentliche Infrastruktur ist in einem wesentlich schlechteren Zustand als es das Gefühl vermutet hätte. Da sind die Schulen, die auch in der zweiten Welle zumeist nicht auf digitalen Fernunterricht umstellen können. Da sind die Gesundheitsämter, die eine schon lange existierende Software zum überwiegenden Teil nicht installiert haben und die Daten auf gesondertem Weg übermitteln müssen. Da ist die Corona Warn App, die keinen tragenden Anteil an der Pandemiebekämpfung hat. Da ist die förderale politische Struktur, die während der Pandemiebekämpfung kontinuierlich Dissonanzen erzeugt. Im Dezember geriet auch das deutsche Gesundheitssystem an eine Belastungsgrenze, weniger wegen der technischen Geräte als  mehr wegen der ausgedünnten Belegschaften in den Krankenhäusern. In all dem zeigen sich Mängel, die schon vor der Pandemie da waren, die aber nicht sichtbar wurden. Hinzu kommen zwei Besonderheiten der Pandemiebekämpfung. Zum einen zehrt der langsame Impfstart an den Nerven vieler Menschen. Zum anderen existiert eine ständige Bedrohung, dass eine aggressivere Mutation des Virus die Zahlen wieder hochschnellen lassen kann.

Vom Schwinden des Auenland-„Wir“

Immer wieder wird gesagt, dass die Pandemie so etwas sei wie ein Brennglas, das die Verhältnisse sichtbarer macht. Das gilt auch für das diffuse „Wir“ des Auenlandgefühls. Es ist zu befürchten, dass nach der akuten Krise, wenn wir sie in einigen Monaten durchstanden haben, soziale Verwerfungen offensichtlicher werden. Es werden nicht alle in gleicher Weise die Krise durchstehen. Erste Schätzungen zeigen, dass die Krise zu einer Umverteilung von unten nach oben führen wird. Menschen mit viel Kapital verlieren nur wenig, solche, die weit überwiegende Mehrheit aber mit geringer Kapitalausstattung verlieren relativ mehr. Doch auch dies ist nicht einfach etwas Neues. Die Risse, die vorher angelegt waren, werden nur deutlicher.

Damit schwindet das diffuse „Wir“ des Auenlandes. Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden wieder transparenter. Sie lassen sich bei weitem nicht auf ein Gemeinsames reduzieren. Es gibt Interessen, die sich in der Gesellschaft durchsetzen und solche, die dazu keine Chance haben. Sicherlich geschieht alles nach wie vor auf einem sehr hohen Wohlstandsniveau. Dadurch ließen sich die gesellschaftlichen Risse auch eine lange Zeit kaschieren. Mit ihnen schwindet das integrative Gefühl des Auenlandes, das diffuse „Wir“, das alle umfasst und auf ein Gemeinsames verpflichtet.

Möglicherweise gerät die Gesellschaft in die Lage, das Vordergründige des Auenland Gefühls besser wahrnehmen zu können. Für die Politik muss das kein Nachteil sein, es führt zu mehr Ehrlichkeit. Die Konflikte, denen man nicht ausweichen kann, können die Politik beleben. Es geht in ihr dann um unterschiedliche gesellschaftliche Entwürfe, die die einen oder die anderen Interessen vertreten. Möglicherweise wird diese Einsicht in dem kommenden Wahlkampf zur Bundestagswahl noch nicht so recht zur Geltung kommen können. Aber in mittlerer Sicht wäre es für die politische Kultur Deutschlands sehr hilfreich, weniger von dem Auenland-„Wir“ zu haben und mehr wieder um divergente Interessen zu ringen.

Hier der Link zu dem Gespräch mit dem Psychologen Stefan Grünebaum.

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