Was kann man über Gott wissen? Gottesbeweise, Widerlegungen, Bekenntnisse….

In unserer Zeit wirkt die Vorstellung befremdlich, dass man über Gott etwas wissen kann. Umstritten ist zunächst einmal, ob Gott überhaupt existiert. Doch auch von denjenigen, die die Existenz Gottes bejahen, wird ein großer Teil feste und verbindliche Aussagen über Gott ablehnen. Gott wird eher mit dem unmittelbaren persönlichen Erleben in Beziehung gesetzt als mit allgemeinen und verbindlichen Aussagen. Bekenntnisse zu Gott als Ausdruck einer persönlichen Verpflichtung mag es vielleicht geben, aber Beweise oder Widerlegungen? Diese Zweifel über die Rede von Gott haben erst in den letzten 200 Jahren im Zuge der europäischen Aufklärung durchgesetzt. Zuvor war es vor allem in den abrahamitischen Religionen selbstverständlich, dass nicht nur Aussagen über Gott möglich sind, sondern dass es darum geht, wahre von falschen Aussagen über Gott zu unterscheiden. Auch lag es nahe, Beweise oder Widerlegungen anzustreben. Gott war eine Sache der religiös informierten Vernunft. Wie steht es heute? Kann man daran anknüpfen, muss man den alten Anspruch verwerfen?

An 15. September hat eine öffentliche Podiumsdiskussion zwischen Helmut Fink, Diplomphysiker, Philosoph und Vertreter eines säkularen Humanismus und mir zu der Frage gegeben, welche Aussagen über Gott möglich sind und wie sie zu begründen sind. Uns beiden war und ist wichtig, dass die Rede von Gott eine Begründungsverpflichtung der Vernunft nach sich zieht. Aber natürlich beantworten wir die Frage, was man über Gott mit Vernunftgründen sagen kann, sehr unterschiedlich.

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Der Diskussion  lagen Thesen zugrunde, die beide vorher formuliert haben:

Die Thesenreihe von Helmut Fink:

1. Das theologische Projekt, Glaubensintuitionen so zu rationalisieren, dass daraus „Gottesbeweise“ werden, ist gescheitert.

Religiöse Überzeugungen streben nach Gewissheit. Neben dogmatischen Festlegungen wurde jahrhundertelang nach rationalen Herleitungen und empirischen Befunden gesucht, die die Existenz (eines) Gottes zweifelsfrei begründen und über seine Eigenschaften, Handlungen und Absichten Aufschluss geben sollten. Spätestens seit Kant ist jedoch klar, dass solche Begründungsversuche immer schon Glaubensaussagen voraussetzen und daher als „Beweis“ nicht taugen. Glaube und Vernunft stehen in einem Spannungsverhältnis.

2. Der heute weit verbreitete Agnostizismus schweigt zu Fragen, über die man reden kann.

Es gibt in der Moderne eine berechtigte Scheu, sich auf Antworten auf letzte Fragen festzulegen. Berechtigt ist diese Scheu insofern, als die Begründungspflicht bei vielen der möglichen Antworten nicht eingelöst werden kann. Das heißt jedoch nicht, dass überhaupt keine rationalen Aussagen zur Gottesfrage möglich wären (oder dass man gar aus Höflichkeit schweigen müsste). Oft werden Reichweite und Durchschlagskraft der Argumente nicht ernst genug genommen. Ein umfassender Agnostizismus kann sich daher oft mit falscher Überlegenheit schmücken und ist zu Unrecht zur dominanten Hintergrundüberzeugung der Gebildeten geworden.  

3. Dass es keinen zugleich allmächtigen, allwissenden und allgütigen personalen Gott gibt, kann man wissen.

Die Gesetze der Logik sind für menschliches Denken unaufgebbar. Der grundlegendste und zugleich härteste Test für jedes sprachlich formulierbare Wissen ist der Ausschluss logischer Widersprüche. Erkenntnisfortschritte entstehen letztlich immer durch Beseitigen der logischen Unverträglichkeit von Aussagen. Das gilt auch für die Gottesfrage. Da es Leid in der Welt gibt, das ein allwissender Gott kennen würde, kann dieser nicht zugleich allmächtig und allgütig sein. Denn entweder kann oder will er das Leid nicht lindern, falls er existiert. Das wusste bereits Epikur.

4. Der menschliche Einfallsreichtum ermöglicht stets weitere „Gottesbilder“, die nicht widerlegbar sind.

Die Begründungspflicht für die Existenz und Eigenschaften von Wesenheiten liegt grundsätzlich bei dem, der sie behauptet. Viele Gottesvorstellungen sind zwar leicht zu widerlegen, weil sie mit rational ableitbaren oder mit empirisch prüfbaren Aussagen kollidieren. Wie in der Esoterik oder bei Verschwörungsmythen gibt es jedoch auch in der Theologie stets die Möglichkeit, sich in kreativen Rückzugsgefechten dem Urteil der Vernunft zu entziehen. Glaubenssehnsucht und literarische Freiheit führen dann zum Einsickern von Wunschdenken in den weltanschaulichen Klärungsprozess. Gottesvorstellungen, die durch Korrekturen und Hilfsannahmen gekennzeichnet sind, entfalten allerdings wenig Überzeugungskraft. Sie deuten nicht auf Wissen hin.

5. Die gemeinsame Lebenswelt Gläubiger und Nichtgläubiger kann und muss gestaltet werden, bevor ein theoretischer Konsens über die (Nicht-)Existenz Gottes erreicht ist.

Religiösen Glaubensaussagen kann keine kritikbefreite Sonderrolle im menschlichen Erkenntnisprozess zugestanden werden. Dennoch ist realistischerweise nicht damit zu rechnen, dass eine allgegenwärtige kritische Vernunft in absehbarer Zeit einen umfassenden weltanschaulichen Konsens bewirkt. Vielmehr scheinen weltanschauliche Überzeugungen jeder Art in der Gesellschaft der Gegenwart an Bindekraft zu verlieren. Daher gewinnt die Frage an Bedeutung, wie die Regeln des Zusammenlebens und die Tugenden des Zusammenhalts ohne Gottesbezug verankert werden können. Christliche und humanistische Wertvorstellungen münden hier in eine gemeinsame kulturelle Zukunftsaufgabe, die die Erinnerung an das Ringen um ein „Wissen über Gott“ einschließt, bearbeitet und historisiert.

Die Thesenreihe von Frank Vogelsang

1. Die Geschichte des christlichen Glaubens zeugt von dem Erkenntnisanspruch des Glaubens.

In der christlichen Tradition war die Rede von Gott über lange Zeit stark normiert. Schon in den ersten Jahrhunderten entstand in den jungen christlichen Gemeinden ein lebhafter Streit darum, was man über Gott sagen kann und was nicht. Erste Bekenntnisse wurden schon im ersten Jahrhundert formuliert, der Kanon der biblischen Texte wurde im zweiten Jahrhundert festgelegt. All dies geschah unter Gemeinden, die sich in der Verfolgung befanden, die Festlegungen waren anders als in späteren Zeiten nicht mit weltlicher Macht verbunden. Dieser Streit um die Deutung zeigt, dass das christliche Zeugnis von Gott immer auch mit dem Anspruch verbunden war und ist, verstanden zu werden.

2. Der Bezug auf Aussagenwahrheit ist kulturell höchst bedeutsam.

Diese Auseinandersetzungen waren wichtig, weil sie eine immer genauere Ausdeutung der christlichen Botschaft und so einen deutlichen Rationalisierungsprozess möglich machten. Wer behauptet, dass Aussagen über Gott wahrheitsfähig sind, geht auch die Verpflichtung ein, diese Aussagen bestmöglich zu begründen. Die Formulierung von Aussagen und ihre Verteidigung zielen auf die Gemeinschaft der Glaubenden. Eine Religion, die ihre Aussagen für begründungsfähig sieht, stärkt die Gemeinschaft, sie ist auf Mitteilung aus. Dies ist ein Zeichen für die Bedeutung der sozialen Verbundenheit für den christlichen Glauben, der Glaube ist nicht die Sache eines Einzelnen, sondern ein gemeinschaftsstiftender Ausdruck.

3. Der christliche Glaube ist auf Erkenntnis aus.  

Nach christlicher Überzeugung ist es möglich, etwas über Gott zu wissen. Wenn Gott allein ein religiöses Numinosum wäre, dann machte es auch keinen Sinn, um Aussagen über ihn zu streiten. Zugleich aber bleibt Gott menschlichem Wissen in entscheidendem Maße entzogen. Denn der christliche Glaube bezeugt, dass Gott immer größer als das ist, was der Mensch wissen kann. Es gilt beides: Wir können über Gott etwas wissen und er übersteigt unser Wissen. Deshalb ist die Rede von Gott auch immer spannungsvoll, sie versucht stets mehr als sie leisten kann. Die Ausrichtung auf Erkenntnis setzt die Glaubenden unter Spannung.

4. Der christliche Glaube ist so Quelle für permanente Selbstkritik.

Die skizzierte Spannung kann nicht aufgelöst werden. Das Nichtwissen Gottes ist immer größer als das Wissen. Und doch ist das Wissen nicht irrelevant. Wenn man aber etwas über Gott wissen kann, ohne zu einer letztgültigen Erkenntnis zu kommen, so ist auch ein Streit um die Deutung angelegt. Es entstanden in der Vergangenheit theologische Schulen, die um die Deutung der christlichen Botschaft rangen. Ihre Auseinandersetzungen waren auch philosophisch äußerst fruchtbar und haben Auswirkungen bis in die gegenwärtige Philosophie hinein. In der Philosophie gibt es eine analoge Situation: Es gibt unterschiedliche Schulen, immer wieder neue Streitpunkte. Und es ist nicht zu erwarten, dass es eine letzte, endgültige Philosophie geben könnte.

5. Ein Verständnis des christlichen Glaubens als subjektive Erfahrung hat destruktive Folgen für die christliche Gemeinschaft

Wenn der christliche Glaube heute so verstanden wird, dass er mehr oder weniger Ausdruck persönlicher Überzeugungen und subjektiver Erfahrungen ist, dann schwindet die oben skizzierte Spannung. Dann kann der Glaube eines Menschen neben dem Glauben eines anderen Menschen stehen, ohne dass sich die Menschen einander etwas zu sagen haben. Das Interesse an der Auseinandersetzung, das Interesse an Erkenntnis schwindet. In gewisser Weise wird der christliche Glaube sprachlos. Er hat  zu wenige oder auch zu viele Worte, weil alle Worte für singuläre Erfahrungen genutzt werden können. Die christliche Gemeinschaft löst sich in eine Ansammlung von Individuen auf, die vielleicht ähnliche Erfahrungen machen. Schwindet der Eindruck ähnlicher Erfahrungen, schwindet auch die Gemeinschaft.

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Kann Wissen gefährlich sein für die Demokratie?

Dieser Frage geht der Soziologe Alexander Bogner in einem schmalen Reklam Bändchen „Die Epistemisierung des Politischen“ nach (Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet. Stuttgart 2021) Bogner beschreibt aktuelle wissenschaftliche Interventionen in politische Debatten, die allen vor Augen sind: EpidemiologInnen und VirologInnen in der Corona Krise, MeteorologInnen, OzeanographInnen, PhysikerInnen in der Klimaforschung. Für ein angemessenes Handeln in einer Krise ist wissenschaftliches Wissen unumgänglich, das betont auch Bogner. Zugleich ist er aber in keiner Weise glücklich mit dem großen Einfluss wissenschaftlicher Expertise, wenn sie den politischen Entscheidungsprozess überflüssig zu machen scheint, getreu dem Motto: There is no alternative.

Der Positivismus Streit

Bogner erinnert dabei auch an die alte Szientismus Debatte der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, den so genannten Positivismus Streit. Damals war es geradezu ein Kennzeichen progressiver Positionen, wissenschaftskritisch zu sein. Denn die Wissenschaft, die unter das Label „Positivismus“ gefasst wurde, so der Vorwurf, produziert ein opakes Weltbild, das keine Alternativen kennt.  Wer jedoch für gesellschaftliche Alternativen eintritt, muss die Fixierung auf Empirie und Fakten durchbrechen. Eine Gesellschaft von morgen ist möglich, wenn man auch andere Quellen als die empirischen Wissenschaften hinzuzieht. Die Protagonisten auf der gesellschaftskritischen Seite waren etwa Adorno und Habermas, aufseiten der Wissenschaftsverfechter Karl Popper und Hans Albert. Ein Widerschein dieser Debatten zeigte sich auch in den späteren Schriften von Habermas, etwa, wenn er von der „Kolonialisierung der Lebenswelt“ durch die gesellschaftlichen Systeme sprach, zu denen auch die Wissenschaften gehören.

Aber: Vorsicht vor den Aufklärungsgegnern

Doch heute ist es nicht mehr so ganz einfach, mit diesem Problem umzugehen, das ist auch Bogner klar. Denn wissenschaftliche Expertise in aktuellen Debatten abzulehnen, würde bedeuten, Tür und Tor allen möglichen Phantasten zu öffnen, heißen sie nun Corona Leugner, Klimaleugner, Impfgegner oder Verschwörungstheoretiker. Bogner hebt auch deutlich hervor, dass es in diesem Ringen um wissenschaftliche Expertise auch organisierte Gegenaufklärer gibt, wie das Cato Institute in den USA oder das Medienimperium von Robert Murdoch. Wer alle scheinbaren „Wahrheiten“ zulässt, landet im „epistemischen Tribalismus“ (118)

Fact-fake Unterscheidungen sind eingängig, aber zu simpel

Und doch ist es das Verdienst von Bogner, einmal mit Nachdruck auf die Problematik von wissenschaftlich abgesichertem Wissen in politischen Debatten einzugehen und nicht voreilig sie allein den Wissenschaftsgegnern in die Schuhe zu schieben. So fragt er provokativ in Hinsicht auf eine aktuelle Expertenhörigkeit: „Diese neue Variante des Szientismus ist, und das kann man nicht nachdrücklich genug betonen, demokratiepolitisch gesehen wahrscheinlich bedenklicher als das leicht durchschaubare Spiel mit Fake News und Twitter Lügen im politischen Alltag.“ (S. 121)

Gibt es sie, DIE Wissenschaft?

Ein klares Plädoyer dafür, diese allzu leichte Unterscheidung von Fake und Facts nicht mitzumachen. Denn die so genannten Facts sind nicht so harmlos, wie es der aktuelle Zeitgeist gerne glauben machen möchte. Zunächst: Die einfache Unterscheidung legt nah, dass es DIE Facts gäbe, DIE Position DER Wissenschaft. Das ist natürlich ein hoch reduktionistisches Wissenschaftsbild. Wissenschaft gleicht eher einer offenen, kollektiven Suche mit der ständigen Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen. Doch andererseits gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die man nicht in Frage stellen sollte. Wer die Erdanziehung leugnet und aus dem Fenster springt, wird schnell auf dem „Boden der Tatsachen“ landen. Es gibt also Tatsachen, aber im politischen Raum müssen sie immer auch noch gedeutet und bewertet werden (etwa die Verordnung, vor alle Fenster Auffangnetze zu spannen). Die Abkürzung, unmittelbar von „Fakten“ auf politische Maßnahmen zu schließen, darf eine der Aufklärung verpflichtete Politik nicht gehen.

Künftige Klimadebatten brauchen beides: die Unterscheidung und die wechselseitige Bezugnahme von Wissenschaft und Politik

Das Büchlein von Bogner ist gerade vor den jetzt anstehenden Klimadebatten – in der neuen Legislaturperiode wird „plötzlich“ die Frage auftreten, wie nun die 65 % CO2 Reduktion in den kommenden 8 Jahren erreicht werden soll. Manche Maßnahme wird dann mit der Stimme DER Wissenschaft begründet werden. Doch kann man aus den wissenschaftlichen Befunden keine politischen Maßnahmen ableiten. Das muss immer noch die Politik – vor den Wählerinnen und Wählern – selbst verantworten. Die Wissenschaft darf in der Politik nicht ignoriert werden, sie darf aber auch nicht zur alleinigen Legitimationsbasis werden.

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