Kurzfristige und langfristige Probleme
Wir leben in einer herausfordernden Zeit. Zunächst fällt jedem, wenn man heute einen Text so beginnt, die Corona Pandemie als vordringliche Herausforderung ein. Die relativ kurzfristige Belastung der Pandemie darf aber nicht die wesentlich drängenderen und langfristigen Probleme des Klimawandels in den Hintergrund schieben. Der Klimawandel hält nicht inne, weil gerade einmal eine Pandemie grassiert. Möglicherweise bieten die gesellschaftlichen Reaktionen auf die Pandemie Potentiale, die man auch für den Umgang mit dem Klimawandel nutzen kann, etwa ein verändertes Kommunikations- und Mobilitätsverhalten, weniger Dienstreisen und Fernflüge. Sicher ist das allerdings nicht. Und eine vollgültige Antwort auf den Klimawandel wäre das auch nicht.
Ein Jubiläum? Fast 30 Jahre Diskussion über Nachhaltigkeit
Wenn man heute über Nachhaltigkeit redet, kann das nicht ohne ehrliche Bilanzen geschehen. Denn spätestens zu Beginn der 90er Jahren gerieten Begriffe wie „Nachhaltigkeit“, „Sustainability“ und „Bewahrung der Schöpfung“ schon einmal in das Zentrum der Aufmerksamkeit. „Nachhaltige Entwicklung“ war ein zentraler Begriff des Programms „Agenda 21“, das auf der Umweltkonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro 1992 vereinbart und die in den Folgekonferenzen wie Kyoto 1995 bestätigt wurde. Die Kirchen hatten Ende der 80er Jahre in ökumenischer Verbundenheit einen konziliaren Prozess ausgerufen, ein Weg zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. In Basel kam es 1989 zu einer großen ökumenischen Versammlung, auf der zentrale Grundüberzeugungen proklamiert wurden.
Wege und Irrwege
Sind wir also seitdem auf dem richtigen Wege? Nein, denn zur gleichen Zeit wurde in den 90er Jahren die Globalisierung massiv ausgebaut. Die weltweiten Produktionsorte wurden miteinander verbunden, die Handelsströme massiv ausgeweitet, die Finanzmärkte geöffnet. Produziert wird seitdem irgendwo auf der Welt, die Lieferketten bis zum Endprodukt durchlaufen oft mehrere Länder. Doch nicht nur die Globalisierung der Warenproduktion, auch andere Entwicklungen konterkarierten die Nachhaltigkeitsziele der 90er Jahre. Zwar wurden die Motoren der Autoindustrie immer effektiver und sparsamer, zugleich aber wuchsen die Modelle an Ausmaß und Gewicht. Auch die Zahl der produzierten PKW nahm erheblich zu. Heute verdienen die großen Produzenten vor allem an den allgemein beliebten SUV, eine Automobilform, die erst in den letzten Jahrzehnten entstand. Auch der Flugverkehr nahm in dieser Zeit dramatisch zu, die Bürgerinnen und Bürger Deutschlands entwickelten sich zu Reiseweltmeistern.
Und so können wir heute, nach einer fast 30 jährigen Diskussion um Nachhaltigkeit keine zufrieden stellende Bilanz ziehen. Sicherlich wurde so manche Veränderung eingeleitet, heute wird in Deutschland fast die Hälfte der elektrischen Energie aus regenerativen Quellen geschöpft. Zugleich hat es eine Menge gegenläufiger Tendenzen gegeben, die die Fortschritte konterkarierten. Die Politik hat stets versucht, beides zu realisieren: Die Quellen des kurzfristigen wirtschaftlichen Wachstums sichern und nachhaltige Ziele verfolgen. Offenkundig lässt sich beides aber nicht so leicht harmonisieren. Wir müssen künftig Wohlstand stärker unabhängig von dem Wachstum der Stoffströme denken.
Bei künftigen Entscheidungen geht es vor allem auch um den Lebensstil
Wir stehen deshalb nun an einem Scheidepunkt. Spätestens die Folge der immer wärmeren Jahre mit größerer Trockenheit haben allen vor Augen geführt, dass der Klimawandel ungebremst weiter vorangeschritten ist, dass die Kompromisse der Vergangenheit eben gerade nicht nachhaltig waren. Diese Herausforderungen werden wir nur bestehen, wenn wir uns auch auf Quellen von Lebenssinn beziehen, die nicht allein von dem Erhalt und der Steigerung des Wachstums von Stoffströmen und Mobilität bestimmt sind. Die „Bewahrung der Schöpfung“ kann nicht allein auf ein klimapolitisches Ziel ausgerichtet sein, sie muss auch neue spirituelle Quellen erschließen. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Ist es so, dass allein eine Trecking Tour auf den Kilimandscharo Lebenserfahrung ausweitet? Kann es nicht auch sein, dass die Begegnungen an der nächsten Straßenecke oder im Garten, im Park oder im nahen Wald ähnliche existentielle Erfahrungen auslösen können? Ist unsere Weise der alltäglichen Mobilität wirklich zielführend? Was genau ist das Ziel? Ein Gast aus der weltweiten Ökumene fragte, als er in Deutschland von einer Autobahnbrücke auf den brausenden Verkehr schaute: „Wo wollen die denn alle so schnell hin?“ Vielleicht sind das die Fragen, die künftigen Lebensformen der Nachhaltigkeit den Weg weisen.
Eine ausführliche Version des Textes findet sich hier.