Konflikte im Schatten des Ukraine Krieges

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine konzentriert sich die Aufmerksamkeit der westlichen Medien auf das Geschehen in der Ukraine. In deren Darstellung ist es ein Konflikt, bei dem Russland mit sehr wenigen Verbündeten auf der einen Seite der restlichen Welt auf der anderen Seite gegenüberstehen, angeführt von den Staaten des Westens. Die Verurteilung des Krieges gegen die Ukraine bei den Vereinten Nationen im März war deutlich, sie wurde von der weit überwiegenden Zahl der Mitgliedsstaaten getragen, von 141, während 35 sich enthielten und nur 5 Staaten die Verurteilung ablehnten.

Die Zurückhaltung vieler Länder des Südens

Doch im weiteren Verlauf zeigt sich immer mehr, wie zurückhaltend viele Staaten des Südens sind, sich offen auf die Seite des Westens zu schlagen. Was lässt die Staaten so zurückhaltend sein? Für manche bestehen engere Verbindungen zu Russland und vor allem zu China. Aber es gibt aber auch wichtige und intensive Beziehungen zu westlichen Staaten. Warum sollten sie also bei so offensichtlichem Unrecht nicht klar Position beziehen?

Der Krieg in der Ukraine ist doch eine Auseinandersetzung von demokratischen Ländern einer autokratischen Gewaltherrschaft. Das stimmt ohne Zweifel, wenn die bewaffnete Auseinandersetzung im Mittelpunkt steht. Aber die Länder des Südens haben noch einen zweiten Blick auf „den Westen“. Wenn der Blick die weltwirtschaftlichen Verflechtungen fällt, verschiebt sich die Deutung. Diese Verflechtungen sind aber im Schatten der Aufmerksamkeit.

Eine regelbasierte Weltordnung?

Die Vorbehalte des Südens haben nicht nur mit taktischen Positionierungen sondern auch mit tiefsitzenden Vorbehalten gegenüber den Staaten des Westens zu tun. Diese repräsentieren und führen ein Weltwirtschaftssystem, das Ungerechtigkeiten auf der Welt seit langer Zeit festschreibt. Die westlichen Staaten sind bis auf den heutigen Tag zugleich auch die Zentren wirtschaftlicher Macht, die größten Börsenplätze sind in London und New York.

Gerne wird die weltwirtschaftliche Struktur als regelbasierte Weltordnung, als freier Austausch von Waren und von Finanztransaktionen gedeutet. Doch hat das mit Demokratie wenig zu tun, eher mit dem Recht des Stärkeren. Die westlichen Länder unterschätzen notorisch ihre wirtschaftliche Macht und die Auswirkungen auf die globalen Beziehungen. Wenn es zu Interessenkonflikten kommt, haben die Interessen der Schwellenländer und die des globalen Südens das Nachsehen. Das ließ sich gut bei der Verteilung von Impfstoffen während der Corona Krise ablesen. Es gibt zwei gewichtige aktuelle Beispiele, die den Ländern des globalen Südens und den Schwellenländern zurzeit große Sorge bereiten.

Kapitalströme fließen aus Schwellenländern ab

Die westlichen Länder erleben eine erhebliche Inflation, die ihren inneren Frieden gefährdet. Die Notenbanken wie die US-amerikanische FED, die Bank of England und die EZB reagieren und heben den Leitzins zum Teil deutlich an. Das führt aber automatisch dazu, das große Kapitalströme aus den Ländern der Peripherie abgezogen werden, Investoren präferieren in unsicheren Zeiten die Anlagen in den Zentren des Weltwirtschaftssystems. Lang geplante Investitionen können in den Schwellenländern nicht mehr getätigt werden. Zudem: Deren Notenbanken müssen die Zinsen noch stärker steigen lassen, damit die Währungen nicht gänzlich instabil werden.

Auf dem LNG Weltmarkt haben die Schwellenländer das Nachsehen

Das zweite Beispiel betrifft den weltweiten Energiemarkt. Im Zuge der Reaktion auf die scharfen Wirtschaftssanktionen des Westens hat Russland die Energieexporte nach Europa stark gedrosselt. Die Länder der EU suchen händeringend nach Alternativen. Sie konzentrieren sich zunächst auf die schnellste Alternative, der Ersatz von Gas aus Transferröhren durch flüssiges Gas, LNG. Das lässt die Gaspreise für LNG drastisch steigen, denn die Förderung kann nicht so schnell ausgeweitet werden. Die EU Länder bedienen sich am Markt mit ihrer Kaufkraft, sie beziehen so viel LNG Gas wie möglich. In deutschen Medien werden Erfolge mit Erleichterung gefeiert. Doch führt das notwendigerweise zu einer Verknappung von Gas in jenen Ländern mit geringerer Kaufkraft, den Schwellenländern. Die Energiekrise erfasst auch sie, möglicherweise noch elementarer als die europäischen Staaten. (Handelsblatt)

All das findet im Schatten der medialen Aufmerksamkeit während des Ukraine Krieges statt. Die Terms of Trade der Weltwirtschaft wurden und werden maßgeblich von den Zentren Nordamerikas und Europas beeinflusst. In den letzten Jahren eines forcierten Wachstums konnten diese Bedingungen großzügiger ausgelegt werden. Doch wenn in den Zentren der Weltwirtschaft ein Engpass entsteht, wirkt sich das schnell zum Nachteil vieler Länder der Peripherie aus. Der Westen täte gut daran, diese Mechanismen auch zu benennen, statt diese kontinuierliche Machtasymmetrien als „regelbasierte Weltwirtschaft“ zu kaschieren.

Historische Kontinuitäten?

Zum Schluss eine irritierende Beobachtung: Die Staaten, die in der Auseinandersetzung mit Russland den Ton angeben, sind erstaunlich identisch mit den kolonialen Staaten der Vergangenheit, neben Großbritannien, die USA und führende europäische Staaten. Sind historische Kontinuitäten bei aller Betonung des Wirtschaftens in der Tagespolitik vielleicht wichtiger als viele im Westen glauben?

Arme werden ärmer, das ist kein Zufall

Die Corona-Pandemie und die Gegenmaßnahmen

Die Corona Pandemie wütet nun weltweit seit zwei Jahren. Ein wenig haben wir uns schon daran gewöhnt, dass die Nachrichten des Tages stets mit der Diskussion um die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beginnen. Deutschland ist in den ersten 1 ½ Jahren recht gimpflich durch die Pandemie gekommen. Der Staat hat massiv interveniert und die Irritationen durch Lockdowns in der ersten, zweiten und dritten Welle eingegrenzt. Erhebliche Schulden im Umfang eines ganzen Jahresetats wurden zusätzlich gemacht. Die Europäische Zentralbank hat zeitgleich die Zinsen auf null gesetzt und mit Sonderkaufprogrammen die Wirtschaft stimuliert und verschuldeten Staaten im europäischen Süden geholfen.

Die beginnende Inflation trifft besonders die Armen

Doch so gimpflich wie es bislang war, wird es nicht weiter gehen. Die Inflation frisst sich durch die Wirtschaft. Hiervon sind vor allem die ärmeren Menschen betroffen, denn sie brauchen das Geld, das sie zur Verfügung haben, für das alltägliche Leben. Jede Preiserhöhung schränkt ihren Handlungsraum sehr schnell stark ein. Es wird deutlich, dass die Ärmeren der Gesellschaft die größten Einschränkungen erleben werden.

Die wirtschaftliche Destabilisierung der Schwellenländer

Doch das, was wir nun in Deutschland erleben, ist an anderen Orten der Welt längst Alltag. Dies betrifft insbesondere die Schwellenländer wie Südafrika, Brasilien, Argentinien, viele mittelamerikanische Staaten, die Türkei oder eben auch Russland, dessen angrenzende Staaten, und schließlich zeigen sich sogar in der kommenden Supermacht China erste Risse. Unbezweifelbar gibt es eine Menge guter Argumente, die klar zeigen, dass in diesen Ländern in der einen oder anderen Weise auch wirtschaftspolitische Fehler gemacht worden sind. Jedoch ist das dann nur die halbe Wahrheit. Denn es bleibt zu erklären, warum all diese Staaten zeitgleich in wirtschaftliche Turbulenzen geraten. Wenn ich die ökonomischen Vorgänge richtig verstanden habe: In Zeiten wirtschaftlicher Krisen wandert das Kapital von unsicheren Schwellenländern hin zu sicheren Anlagen in den zentralen Ländern. Das führt aber zu einer Kapitalknappheit der ohnehin schon ärmeren Ländern und schwächt ihre ohnehin dünne Kapitalausstattung schnell noch mehr.

Die Folgen sind auf der einen Seite in den ärmeren Staaten Kapitalknappheit, weitere Verschuldung und instabile Situationen, auf der anderen Seite in den wohlhabenderen Staaten zu einer Ausweitung der Kapitalmenge. Inflationäre Effekte durch höhere Verschuldung treffen wiederum die ärmeren Menschen. (hier ein schon etwas älterer Hinweis: https://www.handelsblatt.com/politik/international/inflation-lebensmittelpreise-in-schwellenlaendern-explodieren/27399862.html?ticket=ST-237199-NetbUhHRJTNwi3jezOno-ap5 ) Diese Situation wiederholt sich innerhalb der betroffenen Staaten, Vermögende legen ihr Geld bei den seit längerem boomenden Aktienmärkten an, Ärmere können das nicht. Die Corona Pandemie legt schonungslos offen, wie die Mechanismen der Weltwirtschaft funktionieren.

Gute Zeiten, schlechte Zeiten

In Zeiten, in denen ein allgemeines Wachstum herrscht, das war etwa in den vergangenen 10 Jahren der Fall, haben alle etwas davon, allerdings: Die Reicheren bekommen das größere Stück, der Wohlstand der Ärmeren wächst nur mäßig. Doch in dem Moment, in der eine Krise entsteht, in der ein kontinuierliches Wachstum gefährdet ist, wandert das Kapital in die sicheren Häfen der reicheren Länder.

Die Finanzmärkte – ein Segen?

Nur in Ländern mit starken Regierungen und erheblichen Wohlstand ist es zumindest zeitweilig möglich, den Mechanismen entgegen zu steuern und die gröbsten Ungerechtigkeiten zu verhindern. Doch abgeschafft werden diese auch in den reicheren Ländern nicht. Es ist in vielen meinungsbildenden Medien Mode geworden, den Segen der Finanzmärkte herauszustellen. Wie können Menschen ihren künftigen Wohlstand absichern? Indem sie in Aktien investieren! Immer wieder gibt es Erfolgsberichte, von jungen Menschen, die schon früh für später ausgesorgt haben, weil sie klug in Aktien investiert haben. Die ETFs sind gerade unter jüngeren Menschen populär geworden. Das Vertrauen wird in eine nicht enden wollende Wohlstandssteigerung durch technischen Wandel und immer neue Innovationen gesetzt. Wer daran partizipiert, hat im Alter ausgesorgt. Diese Erwartung mag sich erfüllen, sie muss es aber nicht. Nicht vergessen aber sollte man, dass das gleiche System ärmere Staaten und ärmere Menschen in diesen Staaten in jeder Krise zuerst beutelt. Dort ist dann kein Staat, der für einen Ausgleich sorgen kann.

Die dunklen Seiten der wirtschaftlichen Entwicklung

Diese Entwicklung hat ine andere, eine noch besorgniserregendere Seite. Wie reagieren Staaten und Gesellschaften unter dem längerfristigen Stress der Corona Pandemie? Zwei Länder fallen besonders ins Auge. In den USA wurde der Erstürmung des Capitols vor einem Jahr gedacht. Die Gesellschaft ist nach wie vor stark gespalten. Der Plan von Präsident Biden, mit viel Geld die Gräben einzuebnen, hat bislang nicht gefruchtet. In Russland bröckelt es an allen Orten, vor einem Jahr war eine Krise in Belarus, jetzt ist eine Krise in Kasachstan. Stets ist es staatliche Gewalt, die auf Proteste antwortet. Ob Putin daraus die Notwendigkeit ableitet, nun einen heißen Krieg gegen die Ukraine zu beginnen? Diese bedrohlichen Entwicklungen lassen sich sicherlich nicht einfach aus der wirtschaftlichen Randbedingungen abzuleiten, aber: Sie sind auch nicht davon unabhängig.

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