Vorbemerkung (2.10.18) Nach diesem Blogbeitrag ist eine längere Rezension, die auch noch deutlicher Position bezieht, in der Internetzeitschrift „Euangel“ 2/2018 erschienen.
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In einem Vortrag vor einigen Tagen habe ich einige Überlegungen vorgestellt, die die Verbundenheit für die Beschreibung des christlichen Glaubens hervorheben: Es geht im Glauben um eine grundlegende Verbundenheit mit anderen Menschen, um die Verbundenheit mit der Welt. Beide resultieren aus einer radikalen Verbundenheit mit Gott. In der anschließenden Diskussion ist mir die Frage gestellt worden, in welchem Zusammenhang diese Gedanken mit dem Ansatz des Soziologen Hartmut Rosa stehen, wie er ihn in seinem Buch „Resonanz“ dargestellt hat (Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Frankfurt am Main 2016). Ich habe das Buch noch einmal zur Hand genommen. Einige Beobachtungen zu dem, was mir auffiel.
Zunächst: Rosa beruft sich unter anderem auf drei Philosophen, die auch für mich sehr wichtig sind, Charles Taylor, Maurice Merleau-Ponty und Bernhard Waldenfels. Ich finde auch viele Gedanken bei Rosa, die mir selbst sehr wichtig sind. Was meint Resonanz nach Rosa? Resonanz weist zunächst einmal darauf, dass das Entscheidende eines gelingenden Lebens nicht in einem selbst liegt, sondern in der Beziehung, die man zur Welt hat! Wir sollten nicht zu ergründen versuchen, wie es tief in unserm Innern aussieht, um zu uns selbst zu kommen. Vielmehr geht es darum, darauf aufmerksam zu werden, dass wir schon immer in der Welt und in den Beziehungen zu anderen Menschen eingebunden sind. Diese „Soziologie der Weltbeziehung“ (56) ist gegenüber den üblichen Selbstvervollkommnungsansätzen eine wichtige Korrektur: Wir kommen nicht dadurch zu uns selbst, dass wir uns auf uns selbst konzentrieren, sondern nur so, dass wir auf unsere Beziehung zur Welt achten.
Was Rosa unter Resonanz versteht, macht er in einem Bild deutlich: Bei Resonanz entsteht so etwas wie ein vibrierender Draht zwischen uns und der Welt. (24) Dabei kommt es auch auf die Haltung an, die man gegenüber der Welt einnimmt: „Auf dem Gipfel eines Berges oder am Ufer des Meeres sind (zumal moderne) Menschen auf eine andere Weise in die Welt gestellt als in der Großstadt (…).“(31) Resonanz kann man also besonders gut in diesen außergewöhnlichen Momenten erleben. Aber es kommt darauf an, dass Resonanz nicht nur eine Ausnahmeerscheinung im Leben ist, sondern eine Struktur, die unser Leben begleitet. Was ist nach Rosa ein gutes Leben? Das gute Leben ist das „Ergebnis einer Weltbeziehung, die durch die Etablierung und Erhaltung stabiler Resonanzachsen gekennzeichnet ist (…).“ (59)
Der Begriff der Resonanz stellt vor allem die klassische Subjekt-Objekt-Unterscheidung in Frage. Diese Unterscheidung vollzieht zunächst einmal eine Trennung: Wir sind die Subjekte, die dem Objekt „Welt“ gegenüber stehen. Wir sind aber als Subjekte nicht unabhängig von der Welt, sondern immer schon aufeinander bezogen. Das ist ohne Zweifel ein Erbe des Ansatzes von Merleau-Ponty (und vonHeidegger), durch den ja auch Taylor und Waldenfels beeinflusst sind. Rosa definiert die Resonanz sehr kompakt in wenigen Sätzen, die theoretisch hoch verdichtet sind. Der zentrale Satz lautet:
„Resonanz ist eine durch Af<-fizierung und E->motion, instrinsisches Interesse und Selbstwirksamkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren.“ (298)
Ein nicht gerade leicht zu verstehender Satz. Man merkt, dass hier sich verdichtet der Kern der Theorie von Rosa befindet. Aber die beiden Sonderzeichen in den Wörtern Affizierung und Emotion zeigen an: Resonanz ist ein Geschehen zwischen dem Subjekt und der Welt, das zwei Richtungen kennt. Beide müssen füreinander offen sein, nur so kann es zur Resonanz kommen.
Für Rosa hat die Resonanz nicht nur eine beschreibende Bedeutung, dem Begriff kommt auch eine kritische Funktion zu. Deshalb setzt er den Begriff der Resonanz von jenem Begriff ab, der für die Missstände unserer Zeit verantwortlich ist: von dem Begriff der Entfremdung. Bei der Entfremdung ist das Verhältnis des Subjekts zur Welt durch Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung bestimmt (306) Entfremdung hat nach Rosa viel mit der kontinuierlichen Beschleunigung zu tun, durch die unsere Zeit geprägt ist.
So weit in wenigen Worten einige wichtige Gedanken aus dem Ansatz von Rosa. Er lässt sich leicht auf Erfahrungen unserer Zeit beziehen. Das ist seine Stärke, aber auch seine Gefährdung. Mir scheint es, dass man beim Lesen doch nur allzu schnell sagen kann: Ja, so ist es! Doch diese Bestätigung gefährdet den Anspruch, mit dem Ansatz etwas Neues zeigen zu wollen. Ich habe Probleme damit, dass Rosa sich zwar gegen die Unterscheidungen von Objekt und Subjekt wendet, das Arsenal der herkömmlichen Weltvorstellung aber bestehen lässt: Es gibt Subjekte, es gibt die Welt. Es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht. Wenn man es falsch macht, entsteht Trennung, wenn man es richtig macht, entsteht Resonanz. Nur allzu schnell kann der Ansatz therapeutisch verkürzt werden: Es kommt nur darauf an, die Beziehung zur Welt (und zu anderen Menschen) besser zu gestalten. Leiden wir nicht an den neueren gesellschaftlichen Entwicklungen, an der Beschleunigung? Das ist die Entfremdung! Wie können wir uns aus dieser Entfremdung befreien? Indem wir neue Resonanzachsen aufbauen bzw. sie pflegen. Das ist möglich, denn: „Die Resonanztheorie geht im Gegenteil von der Überzeugung aus, dass beide Seiten von Resonanz- oder Entfremdungsverhältnissen – Subjekt und Welt – grundsätzlich veränderbar sind (…).“ (728)
Und dann folgt bei Rosa ein Programm, das eigentlich bekannt ist. Es geht um die Postwachstumsgesellschaft, die natürlich liberal, demokratisch und pluralistisch ist. Ebenso klingen viele andere zurzeit aktuelle Begriffe an: Urban Gardening, Shared Economy usw. usf. Man könnte auf den Gedanken kommen, dass, wenn man sich in dem richtigen sozialen Milieu befindet, dass man dann auch schon auf dem richtigen Wege ist. Das muss alles jetzt nur noch umgesetzt werden.
Mir behagen diese überraschungsfreien Konsequenzen nicht, die Rosa aus dem Ansatz ableitet. Der Ansatz ist im Grunde fundamental, wichtig und richtig. Doch die Durchführung der Theorie ist nur allzu anschlussfähig an die Grundüberzeugungen bestimmter Milieus in unserer Gesellschaft. Da wirkt der Ansatz wie eine Bestätigungstheorie. Viele Leserinnen und Leser dieser Milieus können das Buch zuklappen, zufrieden, dass sie das doch immer schon gewusst haben. Das erhöht sicherlich die Resonanz des Buches selbst. Aber müssen wir in unseren Zeiten des Umbruchs und der Verunsicherung nicht tiefer graben? Gilt es nicht, neue Antworten zu finden, die vielleicht auf dem ersten Blick nicht schlüssig klingen? Der Ansatz von Rosa bietet meiner Ansicht nach dazu Möglichkeiten. Nur sind sie nicht ausgeführt.