Zum Gespräch mit Harald Lesch
Vor fast einem Jahr hatte ich die Gelegenheit, mit dem Astrophysiker Harald Lesch ein längeres Interview führen zu können. Das Interview, wie auch einzelne Teile daraus kann man finden unter: www.mensch-welt-gott.de. Wir haben über sehr unterschiedliche Themen gesprochen, die sich aber alle um Fragen des Verhältnisses von Naturwissenschaften und Theologie drehten, unter anderem über die Krise in der Physik, über die Wichtigkeit alltäglicher Erfahrungen für das Verständnis der Welt, über die Rolle der Mathematik in der physikalischen Beschreibung und so weiter. Ich hatte schon vorher Harald Lesch in kleineren Veranstaltungen kennen gelernt und immer wieder erlebt, wie offen er sich darum bemüht, seine persönliche Haltung als evangelischer Christ mit seiner Arbeit als Astrophysiker in ein konstruktives Verhältnis zu setzen. Das kommt auch in dem Interview zur Geltung.
Wir haben über Themen geredet, die alle im Grenzbereich zwischen der Physik und der Philosophie bzw. der Theologie liegen. Es ging beispielsweise um die Frage, ob die Physik einen absoluten Anfang beschreiben kann, unter welche Bedingungen eine Vorstellung von dem Großen und Ganzen möglich ist, ob die Beschreibung des Universums sich mit einem Bedürfnis nach Sinn verbinden lässt, welche Rolle die Alltagssprache in der Vermittlung der physikalischen Erkenntnis spielt. Harald Lesch hat aber auch Grundfragen der Physik skizziert, die heute virulent sind, insbesondere die Frage, wie die beiden großen Theoriezusammenhänge Quantenphysik und Relativitätstheorie miteinander verbunden werden können. Lesch macht in dem Gespräch auch seine persönliche Glaubenshaltung als evangelischer Christ deutlich.
Was ist ein Anfang?
Was ist der Anfang von allem? Aller Anfang ist schwer sagt der Volksmund – das trifft auch schon auf den Versuch zu, erst einmal genau zu bestimmen, was überhaupt mit einem Anfang gemeint ist! Im Alltag ist das klar: wir setzen einen Anfang, wir beginnen etwas. Aber wir können ein Spiel beginnen, der Schiedsrichter pfeift das Spiel an. Er setzt damit einen Anfang. Anfänge sind in diesem Zusammenhang mit menschlichen Handlungen verbunden. Menschen setzen durch ihr Handeln einen Anfang.
Gibt es dann auch einen Anfang in der Physik? Kennt die Natur, so wie sie die Physik beschreibt, einen Anfang? Natürlich spielt auch in der Physik das menschliche Handeln eine große Rolle. Das gilt etwa für Experimente. Hier kann man einen Anfangspunkt t0 definieren, an dem das Experiment startet. Doch kann man auch solch einen ausgezeichneten Zeitpunkt t0 in der Natur beobachten? Es gilt offenkundig: einen Anfangspunkt setzt man, man findet ihn aber nicht. In der Beschreibung der physikalischen Zeit ist jeder Zeitpunkt gleich berechtigt. Deshalb gibt es keine ausgezeichneten Zeitpunkte. Wenn man einen Zeitpunkt t0 als Anfang definiert, dann kann man stets fragen: Und was geschah davor, also zu einem Zeitpunkt (t0 –t)?!
Es ist also nicht abwegig, davon zu reden, dass die Rede vom Anfang aus dem Alltag in die Physik importiert wird. Wir setzen als Menschen einen Anfang, aber es gibt in der wissenschaftlichen Beschreibung der Natur keine Zeitpunkte, die als Anfang ausgezeichnet wären. Auch biologisch sind Anfänge schwer zu bestimmen. So scheint es nahezu unmöglich zu bestimmen, wann genau etwa Leben anfängt. Das, was man biologisch beschreiben kann, zeigt sich als kontinuierlicher Prozess, da ist nirgendwo wo eine Zäsur, ein klarer Ausgangspunkt.
Aber redet nicht die Kosmologie von einem Anfang, dem Urknall? Dieser Anfang ist zudem ein besonderer Anfang, weil er der Anfang von allem ist. Doch was ist mit dem Urknall als dem Anfang von allem genau gemeint? Dieser Zeitpunkt erfasst zunächst einmal eine so genannte Singularität – eine physikalische Größe nimmt zu einem bestimmten Zeitpunkt beliebig große Werte an: Die Massedichte des Universums war vor etwa 13,7 Mrd Jahren beliebig groß. Das scheint ein ausgezeichneter Zeitpunkt der Physik zu sein. Aber ist es auch ein Anfang? Dieser Anfang nicht so eindeutig wie jene, die wir im Alltag setzen. Auch hier gilt, dass man durchaus fragen kann, was davor war. So gibt es kosmologische Theorien, die gehen davon aus, dass sich das Universum immer wieder ausdehnt und zusammenzieht und wieder ausdehnt…
Die entscheidende Frage ist, ob mit dem Anfang nicht etwas in die Physik eingetragen worden ist, was hier aber keinen Ort hat. Die Rede von einem Anfang der Welt stammt aus mythischen Erzählungen. Erzählungen haben einen Anfang. Sie berichten von einem Anfang, weil sie von Wesen berichten, die handeln. So auch der biblische Schöpfungsbericht: Er redet von einem Anfang, hier setzt Gott einen Anfang. „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Das ist nah bei unserem Alltagsverständnis. Ein Akteur setzt einen Anfang. Vermenschlichen wir da Gott? Oder ist es nicht vielmehr so, dass aus Gottes Vermögen, einen Anfang zu setzen, sich das menschliche Vermögen ableitet? Das letztere wäre die theologische Deutung. Offenkundig hängt auf jeden Fall die Rede vom Anfang mit einer Handlung zusammen. Wie steht es dann von der Rede eines Anfangs in der Physik? In der physikalischen Welt handelt keiner. Insofern ist die Rede von einem Anfang des Universums heikel.