Warum hat Jesus nicht über das Große und Ganze gepredigt?

Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wie der christliche Glaube und die moderne Vorstellung von der Welt zusammen passen, dann werden zumeist Grundfragen der Astrophysik diskutiert oder auch der Evolutionstheorie. Manche dieser Fragen waren auch ein Thema in dem Akademiegespräch mit Prof. Harald Lesch. In dem Gespräch kam aber auch eine Beobachtung zur Sprache, die diese Diskussionen mit einem nachdrücklichen Fragezeichen versieht. (Video)

Die Lebenswelt in den Predigten des Neuen Testaments

Wenn man die neutestamentlichen Texte betrachtet, rückt doch das, was uns modernen Menschen so wichtig ist, die Fragen nach dem Großen und Ganzen, nach dem Bild von der Welt als Ganzer, völlig in den Hintergrund! Außer einigen apokalyptischen Aussagen, von denen man nicht weiß, ob sie wirklich von dem historischen Jesus stammen, ist von dem Großen und Ganzen gar nicht die Rede! Die Predigten Jesu haben im Gegenteil nur die Welt des Alltags im Blick. Es geht hier um das Aussäen der Saat, um den Fang von Fischen im See Genezareth, um die Verrichtung der Gebete, um die Arbeit in einem Weinberg und vieles andere mehr.

Warum hat Jesus nicht über das Große und Ganze gepredigt, wenn es doch so wichtig ist? Warum hat er in den meisten seiner Predigten nicht in etwa so angesetzt: „Gott, der Vater hat Himmel und Erde geschaffen! Was heißt das? Gott hat zunächst das Licht von der Dunkelheit getrennt. Dann hat Gott das Feste von dem Urmeer getrennt, so dass die Menschen auf sicherem Boden leben können. Der sichere Boden gibt unserem Leben Halt, hier können wir unser Dasein fristen und das Land erschließen… usw. usf.“ Doch nichts davon. Keine Betrachtung der Welt im Ganzen. Wenn im Johannes Evangelium von Welt die Rede ist, dann ist eher die menschliche Welt gemeint, eben die Welt jener Menschen, die fern von Gott sind.

Wir kommen Gott im Nahen auf die Spur

Könnte es nicht sein, dass Betrachtungen des Großen und Ganzen für ein Verständnis von Gott gar nicht so bedeutend ist? Könnte es sein, dass man dem Verständnis, wer Gott ist, nicht dann näher kommt, wenn man die Welt im Ganzen zu verstehen sucht, sondern vielmehr dann, wenn man sich dem Nächsten zuwendet? Das kann das Nächste der Natur sein, die Blume auf dem Acker, die Vögel unter dem Himmel oder der nächste Mensch, vor allem der, der Hilfe benötigt.

Wenn man der Predigt Jesu folgt, dann ist es das Nahe, in dem Gott zu finden ist. Aber ist das Nahe uns nicht allzu vertraut, ist es nicht alltäglich und in gewisser Weise banal? Hierauf hat eine andere Sequenz in dem Gespräch mit Harald Lesch Bezug genommen: Vielleicht ist die Alltagswelt, unsere Lebenswelt eine Wirklichkeit ganz eigener Art, die nicht reduziert werden kann auf die Kenntnis von Elementarteilchen und die auch nicht einfach eingeordnet werden kann in unser Wissen vom Universum! (Video) Dann wäre es ganz und gar nicht trivial, sich der Alltagswelt zuzuwenden, so wie Jesus das getan hat. Es gibt eine Tradition der phänomenologischen Philosophie, die tatsächlich (auch unabhängig von christlichen Erwägungen) genau dies nahe legt! (Weitere Informationen unter: www.mensch-welt-gott.de/philosophische-positionen-479.php)

Die Erschließung des Nahbereichs

Wenn Gott in dem Nahen zu finden ist, so heißt das nicht, dass er nicht Himmel und Erde geschaffen hat. Doch es heißt, dass das Nachdenken darüber uns vielleicht nicht allzu viel weiter hilft, um ihm auf die Spur zu kommen. Wir sind, so auch Harald Lesch, ganz gut darin, das Universum zu berechnen, wir haben auch schon recht viel über die Elementarteilchen verstanden, aus dem die Welt besteht. Die großen Geheimnisse der Welt bestehen aber gerade vielleicht darin, was uns ganz nah ist: Wie genau bezieht sich unser Denken auf die Welt? Was bedeutet es, sprechen zu können? Wie können wir unsere Wahrnehmung verstehen? Wie verbinden sich Innen und Außen? Wie können wir bewusst und zielgerichtet in die uns umgebende Welt eingreifen, wie können wir intentional handeln? Für all diese scheinbar einfachen Fragen gibt es aber noch nicht einmal grobe allgemein akzeptierte Modelle!

Autor: Frank Vogelsang

Ingenieur und Theologe, Direktor der Evangelischen Akademie im Rheinland, Themenschwerpunkt: Naturwissenschaften und Theologie

6 Kommentare zu „Warum hat Jesus nicht über das Große und Ganze gepredigt?“

  1. Lieber Herr Vogelsang,

    das ist eine Fülle von Aspekten/Fragen, daher der Reihe nach:

    3. Absatz: Was heißt ‚Schaffung von Himmel und Erde‘: Wenn es vorher außer Gott nichts gab, gab es auch keine Dunkelheit unserer Vorstellung und kein Urmeer. Wenn es nichts gab, gab es keinen Raum und keine Zeit. Das würde bedeuten, Gott hat als erstes Raum und Zeit geschaffen, vielleicht aus sich heraus.

    4. Absatz: Christus betont immer wieder, dass Glaube und Liebe bedeutend sind, nicht das ‚Große und Ganze‘. Und auch die moderne Physik geht ja davon aus, dass es Materieloses gibt, das die Welt und alles in dieser Welt verbindet (s.a. die ‚geisterhafte‘ Fernwirkung). Das könnte einfach Information sein oder Geist oder nicht doch Liebe in einer Form, die wir uns nicht vorstellen können? Vielleicht hat das ja auch etwas mit der ‚dunklen‘ Energie zu tun. Und in der Tat ist es auch das Nächste, Natur, Blume, Acker und sogar scheinbar Lebloses. Denn die Grundelemente (die String-Theorie spricht von Wellen/Schwingungen, aber Wellen und Schwingungen von was?) sind ja die Fundamente von allem.

    5. Absatz: Das führt in der Tat dann zu Ihrer Folgerung aus Jesu Predigtinhalten, nämlich sich mit dem Nahen, in dem Gott zu finden ist, zu befassen. Und warum können wir nicht aus den neuen Erkenntnissen über die fundamentalsten Elemente (es sind ja genau genommen keine Teilchen) das erfahren, was uns zufriedenstellt?

    6. Absatz: Vielleicht ist Gott in allem und alles ist in Gott. Das hört sich sehr vereinfachend an, ist aber ja Folge der Materielosigkeit, die dann auch Orts-Ungebundenheit bewirkt. Und wenn Gott Raum und Zeit geschaffen hat, kann er sie vielleicht auch wieder auf und in sich zurücknehmen … Irgendwo hört die Verstehbarkeit auf, aber müssen wir uns nicht einfach damit abfinden? Bringt die Berechnung des Universums überhaupt etwas, wenn wir wissen (zu wissen glauben), dass es nicht nur 100 oder 200 Mrd. (!) Sonnen alleine in unserer Galaxie gibt und Galaxien vielleicht sogar in ähnlicher Größenordnung? Da beschäftigen wir uns doch lieber mit dem Nahen und unserer Verbindung dahin. Modelle werden immer entstehen, Parameter werden modifiziert, wenn die Modelle nicht passen oder neue Parameter ergänzt bis die Modelle verschwinden und anderes kommt. Hans-Peter Dürr beschrieb mal sehr schön, wie alleine schon die Chance auf einen Nobelpreis bleibender Anreiz ist, immer wieder neue Modelle zu kreieren.

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  2. Lieber Herr Reuter,

    da stimmen wir offenkundig in Vielem überein! In Ihrem letzten Kommentar zum Text „Urknall“ sagen Sie ja auch, dass der Bezug auf die Physik für Sie vor allem die Funktion hat, den Vorwurf zu entkräften, der Glaube sei irrational. Angesichts offener Fragen unter anderem in der Physik kann ein ausgrenzendes Urteil gegenüber religiösen Aussagen keinen Bestand haben.

    Ihre Bemerkung zu der Schöpfung ist natürlich richtig. Die Theologie spricht auch immer von der Schöpfung aus dem Nichts, weil sonst das Problem entsteht, woher das stammt, was vor der Schöpfung da war. Für mich zeigt sich aber auch an dieser Stelle: Offenkundig gelingt es uns nicht, ein geschlossenes Weltbild zu produzieren. Auch nicht in der Theologie. Schöpfung aus dem Nichts ist ja doch eher eine Krücke, um erträgliche Widersprüche zu erzeugen und nicht unerträgliche. Aber Widersprüche und offene Fragen bleiben wie bei jedem geschlossenen Weltbild.

    Deshalb ist mir ja auch das Nahe so wichtig. Ich glaube, dass hier der Schlüssel dafür liegt, dass wir zu keinem geschlossenen Weltbild fähig sind. Weil wir immer schon an der Wirklichkeit Beteiligte sind, weil unsere Fähigkeit zur methodischen Distanzierung immer ein zweiter Schritt ist, der eine nur begrenzte Reichweite hat, müssen wir uns damit beschäftigen, dass es offenkundig etwas gibt, was wir nicht so leicht in den Blick bekommen.

    Schlussendlich, und da sehe ich durchaus noch eine Differenz zwischen unseren Positionen, bin ich deshalb auch sehr vorsichtig, mögliche Identifikationen anzudeuten. Ich glaube, dass die zwischenmenschliche Liebe (fast) nichts mit dem Begriffsarsenal zu tun hat, dass die Physik aufbieten kann. Ähnliches gilt auch für den Glauben.
    In der negativen Aussage, die Welt ist nicht eindeutig zu fassen, sind die kritischen naturwissenschaftlichen Betrachtungen stark, in der positiven dagegen sind schnell Grenzen gesetzt. Da sehe ich auch die Position von Dürr skeptisch, so weit ich ihn verstanden habe. Aus der kritischen Betrachtung der Wissenschaften kann man das Christentum nicht ableiten, es ist ebenso möglich wie unmöglich wie auch der Atheismus oder eine andere Position…

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    1. Lieber Herr Vogelsang,

      da wir Teil einer Schöpfung sind, die wir selbst nicht bewirkt haben: Ist es deshalb nicht sehr gut nachvollziehbar, dass wir den Schlüssel für das Weltbild nie finden werden? Und kann deshalb nicht der einzige Weg derjenige sein, uns nicht auf die Physik zu beschränken, sondern jeder für sich seinen Glauben einzubeziehen und jene Hinweise zu bedenken, die wir aus Jenseitigem, wie immer dieses aussehen mag, erfahren? Vielleicht ist diese Öffnung ja der Weg über Wissen hinaus zur Weisheit. Einige Gedanken dazu sende ich Ihnen per Mail.

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      1. Lieber Herr Reuter, volle Zustimmung! Allerdings würde ich mich nicht auf etwas Jenseitiges beziehen. Wenn denn die Wirklichkeit nicht vollständig durchleuchtbar ist, dann ist braucht man kein Jenseits. Das Jenseits entstand ja als die Vorstellung reifte, dass das Diesseits durchaus verstehbar sei. Es ist eine Hilfskonstruktion, um für Gott noch einen Ort zu erhalten. Ich glaube nicht, dass das biblisch ist. Gott ist mitten in dieser Welt zu entdecken. Allerdings kann man das biblische Weltbild auch nicht einfach übernehmen, denn dort ist ja der Himmel der Ort Gottes. Aber die Grenzen sind nicht eindeutig. Bei Matthäus ist das Himmelreich nahe herbeigekommen! Wenn man damit rechnen muss, dass die Wirklichkeit größer ist als das, was wir verstehen können – und das ist meiner Ansicht nach gerade das besonders Nahe und das Nächste, das, was wir nicht objektivierend auf Abstand halten können – dann ist das Jenseits eine vernachlässigbare eher spekulative Größe.

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      2. Lieber Herr Vogelsang, ich bin voll einverstanden, wobei ich das Jenseits anders definiert habe (bzw. von anderer Definition ausging, ohne es auszudrücken): Nicht als Ort, sondern als eine geistige Welt ohne Raum und ohne Zeit. Dieses ‚Jenseits‘ ist dann ebenso wie Gott ohne jede Lokalität in uns, bei uns und über uns und in Allem.

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  3. Niemand ist fern von „Gott“ – Wir sind alle im SELBEN Mass „durchströmt“ vom Geist der „Gott“ ist. NICHTS gehört dem „Einzelnen“ allein! Sogar unsere Gedanken nicht, weil auch diese immer abhängig von Geist und Gemeinschaft geprägt wachsen. Gott ist die Metapher für den Zustand des schöpferischen Geistes als Zentralbewusstsein.

    Jesus hat sehr wohl und sehr nachdrücklich über das Große und Ganze gesprochen, z.B.: Matthäus 5,20, 7,21, 12,32, 16,28 (Wiedergeburt bis zum „Jüngsten Gericht“), von den Arbeitern im Weinberg, der verdorrte Feigenbaum, die Frage nach der Steuer, von den klugen und törichten Jungfrauen, usw. (Gerechtigkeit, die Kraft des wahren Glaubens, Zusammenleben OHNE …, geistig-heilendes Selbst- und Massenbewusstsein, „Sozialismus“, bzw. die gottgefällige Überwindung der Vorsehung / des Schicksals / der „göttlichen Sicherung vor dem Freien Willen).

    Mensch bedeutet ALLE, vom Ursprung bis zum … („wie im Himmel all so auf Erden“), es geht dabei um unsere Vernunftbegabung, die wir nicht im „Tanz um das goldene Kalb“ / den nun „freiheitlichen“ Wettbewerb vergeuden sollen – Mose, der dies auch mit Gewalt ausmerzen wollte, und nach ihm Jesus, der es mit Liebe versuchte, sind daran gescheitert.

    Jesus ist ganz sicher nicht für unsere Verkommenheit im geistigen Stillstand seit der „Vertreibung aus dem Paradies“ (erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung) gestorben!!!
    Die „Vertreibung“ ist der Evolutionssprung in die als Mensch eigenverantwortliche Weiterentwicklung, wenn wir das nicht gemeinsam schaffen, dann greift beim nächsten E. / bei der nächsten Mutation die „Sicherung“, in Form der „Apokalypse“!

    Matthäus 7,5!!!

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